Wohin ist dein Blick gerichtet? Der Evangelist Lukas fordert uns heraus den Blick nach vorne zu richten. Walter Benjamin schreibt 1940: „Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen.“ Die Wahrheit beginnt, das habe ich von Jürgen Ebach gelernt, mit zwei: Bei den Toten verweilen. Den Blick nach vorne richten. Und manchmal braucht es die Radikalität - die von Lukas oder die von Benjamin.
Im wörtlichen Verständnis ergibt dieses Zitat Sinn: Wer einen Pflug zieht, der muss nach vorne schauen, damit gerade Linien gelaufen werden. Aber ist es tatsächlich nur so gemeint? Als Rabbiner schaue ich gerne in die klassischen rabbinischen Auslegungen. Beim Neuen Testament gibt es diese jedoch nicht. Aber es gibt eine Stelle in der Hebräischen Bibel, die zum Zitat von Lukas passen könnte. So heißt es in Micha 4,1: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk mehr gegen das andere das Schwert erheben und sie werden nicht mehr lernen Krieg zu führen.“ Stellt man beide Zitate gegenüber, dass also der Pflug mal ein Schwert, ein Kriegsgerät, gewesen ist, so ergibt sich das Bild eines Menschen, der ursprünglich mal ein Krieger gewesen ist, der anderen Menschen Leid zugefügt hat, etwa um die Grenzen des eigenen Landes unrechtmäßig zu erweitern, nun aber von seinen schlechten Taten umgekehrt und ein friedlicher Bauer geworden ist. Dieser Mensch soll nicht zurückschauen, er soll nicht wehmütig auf vergangene Zeiten blicken, denn das könnte dazu führen, dass er einen „Rückfall“ erleidet – und als Konsequenz keinen Anteil am „Reich Gottes“ hat, das wäre, nach meinem Verständnis sowohl das Leben auf dieser Welt als auch das Leben in der kommenden Welt, die den Menschen nach dem Tod erwartet.