Wochensprüche jüdisch-christlich kommentiert
Ein jüdisch-christliches Team formuliert jede Woche einen Impuls zum Wochenspruch, der die jüdischen Traditionen, die christliche Sensibilität, mögliche Stolperfallen oder ungewohnte Horizonterweiterungen fokussiert. Dadurch werden biblisch-exegetische Erkenntnisse zugänglich gemacht und Impulse für die persönliche oder kirchliche Praxis gegeben.
Mit dabei sind neben dem IKJ-Team u.a. Bischof Christian Stäblein, Rabbiner Max Feldhake, Pröpstin Christina-Maria Bammel, Rabbinerin Ulrike Offenberg, Prof. Henrik Simojoki, Studienleiter Christian Staffa, Rabbiner Nils Ederberg, u.v.a
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Der Weg vom Reformationstag zu Advent und Weihnachten wird von einem Schirm überspannt, auf dem die Worte „Gnade“ und „Liebe“ stehen. Gegen Ende des des Kirchenjahres bekommt dieser Schirm jedoch einen Riss und es regnet „schwierige Themen“: Vergänglichkeit, Tod und Gericht. Besonders letzteres ist für Protestanten eine harte Nuss. Wie passt die Vorstellung eines richtenden Gottes bzw. eines richtenden Christus zum „sola gratia“, das auf die Liebe Gottes baut? Für den Juden Paulus ging das offenbar zusammen, denn Paulus erinnert immer wieder daran, dass es nicht egal ist, wie man sich in seinem Leben verhält. Dabei trägt man nicht nur Verantwortung gegenüber den Mitgeschöpfen und sich selbst, sondern auch gegenüber Gott. Mir hat sich dieses Motiv auf einer Tagung erschlossen, auf der ein älterer katholischer Theologe ganz unbefangen über das jüngste Gericht gesprochen hat. Sinngemäß hat er gesagt: Wie werden im Licht der Liebe Gottes unser Leben als das erkennen, was es war und was es hätte sein sollen. Dazu werden Momente gehören, auf die wir stolz sein können – aber eben auch Momente, die uns tief beschämen werden. Zurück zum Ausgangsbild: Mit diesem Wochenspruch bekommt der Schirm einen Riss – aber er zerreist nicht.
In diesem kurzen Satz finden sich drei ganz zentrale Begriffe jüdischen Denkens. Die Rabbinen diskutieren ausführlich, ob die Bezeichnung „Gottes Kinder“ tatsächlich vom Verhalten abhängt, oder ob es nicht eine grundsätzliche Zugehörigkeit beschreibt. Die Metapher der Beziehung von Eltern und Kindern findet sich durchgängig in der Tora, der rabbinischen Literatur und in der Liturgie.
Hinter dem deutschen Wort „Selig“ steckt das hebräische „Aschrej“, das ganz diesseitig gemeint ist: Glück und Wohlbefinden, vielleicht auch einfach das Grundgefühl, am richtigen Ort zu sein – wie es in Ps. 84,5 heißt, der als Einleitung zu Psalm 145 dreimal täglich gesagt wird: „Aschrej joschwej wejtecha“: Wohl denen, die in deinem (Gottes) Haus wohnen.
Dass also Frieden – Schalom – und Frieden machen, im Großen und im Kleinen, sowohl für die Beziehung zu Gott als auch für das eigene Wohlbefinden zentral ist, wird hier prägnant ausgedrückt und ist in diesen Tagen eine wichtige Botschaft.
Wer auch immer diesen Brief an Timotheus geschrieben hat, hat sich diese Worte nicht ausgedacht, er zitiert sie aus seiner Tora (z.B. 5. Mose 10,17). Und die lobt Gott als den Einzigen, König aller Könige. Kein willfähriger Despot wie der römischen Kaiser, der jeder Münze und jedem Untertan in seinem Reich sein Bild aufdrückt. Gott drückt niemandem sein Bild auf, im Gegenteil: „kein Mensch hat ihn je gesehen noch kann ihn sehen“ (1.Tim 6,16b), die Passage ist zu wichtig, um übergangen zu werden. Sein Herrschaftserweis zeigt sich in der Befreiung eines Sklavenvolkes, in seiner Gerechtigkeit, die für die streitet, die nur allzu gern übersehen, an den Rand gedrängt und am liebsten abgeschoben werden. Anders als das Judentum hat sich das Christentum über die Jahrhunderte allzu leicht zur Macht hinziehen lassen. Zeit für uns Christinnen und Christen, Kante zu zeigen gegenüber denen, die wieder nach Despoten schreien. An jedem Vorabend zum Schabbat singen Jüdinnen und Juden das Lied von Gottes Herrlichkeit, das freimacht von allem Duckmäusertum:
Friede sei mit Euch, dienende Engel, Engel des Höchsten,
des Königs aller Könige, des Heiligen, gelobt sei er.
Euer Kommen sei zum Frieden, Engel des Friedens, Engel des Höchsten,
des Königs aller Könige, des Heiligen, gelobt sei er.
Nur Gott kann die Übertretungen eines Menschen gegen Gott vergeben. Wie viel Ehrfurcht und Respekt gibt es seitens des Menschen, der auf Gottes Vergebung wartet. Aber Gott vergibt keine Übertretungen zwischen Menschen. Der Täter muss seine Taten anerkennen, Verantwortung übernehmen und das Opfer aus tiefstem Herzen um Vergebung bitten.
Und was ist, wenn die Person, die wir verletzt haben, sich weigert, uns zu vergeben? Wir müssen dreimal im Beisein von Zeugen demütig um Vergebung bitten. Wenn das Opfer danach immer noch die Vergebung verweigert, liegt die Schuld bei ihm.
Die Gabe der Vergebung liegt beim Opfer und es sollte Ehrfurcht vor dem Ausmaß der Verantwortung haben, die es auch trägt.Vergebung ist ein Prozess der emotionalen Verarbeitung.Verzeihen bedeutet nicht, dass wir mit der begangenen Ungerechtigkeit einverstanden sind, sondern dass wir einen inneren Transformationsprozess durchlaufen. Das Festhalten an der Unversöhnlichkeit ist eine Strafe für uns selbst, denn so staut sich in uns Wut an, emotionale und energetische Barrieren, die im Laufe der Zeit unserer Gesundheit schaden. Vergebung ist der tiefgreifendste Heilungsprozess und wir müssen ihn das ganze Jahr mit uns selbst durchführen.
Diese Empfehlung klingt trivial und rätselhaft zugleich. Es scheint trivial, dass wir uns nicht von bösen Mächten, die uns zerstören wollen, überwältigen lassen sollen, sondern ihnen widerstehen müssen, gegen sie kämpfen müssen, um sie zu überwinden - um zu überleben. Die Empfehlung, zu überleben, ist trivial. Aber warum ist es notwendig, hinzuzufügen, dass wir das Böse "mit Gutem" überwinden sollen? Reicht es nicht aus, dass wir das Böse überleben, ist unser Überleben nicht an sich schon gut? Diesem Vers zufolge ist unser Überleben gut, wenn es das Böse überwindet; es ist nicht gut, wenn wir bei der Überwindung des Bösen, das gegen uns vorgeht, selbst zum Bösen für andere werden. Wir überwinden Gewalt nicht mit noch mehr Gewalt; es gibt keinen Krieg gegen den Krieg. Das Böse kann nicht mit dem Bösen überwunden werden, sondern nur mit Gutem. Was bedeutet es, das Böse mit dem Guten zu überwinden? Es bedeutet, die Kräfte, die gegen uns arbeiten, in Kräfte zu verwandeln, die mit uns arbeiten. Eine solche Umwandlung kann nur beginnen, wenn wir aufhören, unsere Feinde als böse zu behandeln, und anfangen anzuerkennen, dass auch sie darum kämpfen, das Böse zu überleben, das wir für sie darstellen.
Ob sich das einmal ein Prophet Micha hätte träumen lassen, dass seine Worte 2800 Jahre später zu einer Losung werden, einer Kirchentagslosung? So war es 1995 in Hamburg. Noch immer berührt mich Jürgen Ebachs sensible Übertragung dieser Zeilen:
„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott bei dir sucht: Gerechtigkeit tun, Freundlichkeit lieben und behutsam mitgehen mit deinem Gott.“
Dabei schwingt ja mit, was wir vermeintlich gerecht entscheiden und tun, selten gelingt, um tatsächlich Gerechtigkeit herzustellen. Und die liebende Freundlichkeit kann unfassbar viel erlittenes Unrecht nicht aufheben, geschweige denn vergessen machen. Alles beginnt für Micha damit, himmelschreiendes Unrecht im Namen Gottes auch beim Namen zu nennen. Verarmung und Verschuldung bei denen, die den dürftigen Unterhalt als Bauern erwirtschaften. Verlogenheit und verdrehte Wahrheiten bei denen mit viel Einfluss im Land. Wer soll sich noch worauf verlassen können? Drastisch Klartext sprechen - das mutet Gott seinem Propheten zu. Die Zumutung gilt noch: Ein Leben auf gutem Grund in einer Gesellschaft gibt es nicht ohne Offenheit und Bescheidenheit, das heißt weniger Ego, mehr Du und Wir. Ein Leben auf gutem Grund gibt es nicht ohne echte Teilhabe der vermeintlich Mittellosen und Übersehenen an dieser Gemeinschaft. In Gottes Worten gibt es keine Zumutung ohne Zusage. Zugesagt ist und bleibt etwas einzigartig Gutes: Gemeinschaft mit dem Ewigen. Von Gott her ungekündigt. Ein guter Grund, auf dem sich behutsam mit dem Gott Israels mitgehen lässt, der sein erst- und immer geliebtes Volk befreit und aufrichtet. Diese Behutsamkeit einübend der Anfangskraft nachgehen. Denn sie verspricht den Aufbruch gerade jenen, die am Ende sind. Damit wird nicht gleich alles gut, aber der nächste Schritt eventuell besser.
Psalm 145, aus dem dieser Vers stammt, wird im jüdischen Gebet täglich mehrmals gesagt. Jeder Vers des Psalms beginnt mit einem weiteren Buchstaben des hebräischen Alphabets, er behandelt sein Thema sozusagen „von A bis Z“:
Die geschaffene Welt, Menschen, Tiere und die Natur selbst, lobt ihren Schöpfer. In unserem Vers sind also ausdrücklich alle Lebewesen gemeint, und Gottes Zuwendung ist nicht nur großzügig, wie es im nächsten Vers heißt, sondern nimmt auch die Bedürfnisse jedes einzelnen genau wahr:
Nahrung gibt es „zu ihrer Zeit“, genau zum passenden Zeitpunkt und in der richtigen Menge. Der Vers besteht aus genau 10 Worten im Hebräischen, was der Zahl der zehn Regeln oder Gebote entspricht, die in der jüdischen Tradition zur Herstellung von Brot gehören.
Was haben Hose, Brille, Schere und der Wochenspruch gemeinsam?
Nein, kein Witz…Die richtige Antwort: Sie bestehen jeweils aus zwei untrennbaren Elementen.
Wer Gott liebt, liebe auch seinen Bruder*/Schwester*.Das klingt so selbstverständlich wie die zwei Hosenbeine. Ist es das für uns?
Was das praktisch bedeutet, lehrt uns die jüdische Tradition: bevor ich im Frieden mit Gott sein kann, muss ich mit meinem Mitmenschen Frieden geschlossen haben. Jesus mahnt daher in der Bergpredigt: Wenn du weißt, dass du mit einem Mitmenschen im Streit liegst, geh erst zu ihm und versöhne dich – und erst dann komme zu Gott (Mt 5, 23f).
Gottesliebe und Nächstenliebe gehören nicht nur irgendwie zusammen. Sie sind die zwei symmetrischen Klingen, durch die ein gerader Schnitt möglich ist. Wenn ich mir das konkret ausmale, was das für meinen Alltag bedeutet, dann finde ich einige stumpfe Scheren in der Schublade. Aber: Nachschärfen ist ja möglich, Gott sei Dank.
Meistens würde es mir leicht fallen, eine Liste von weltlichen Dingen zu erstellen, die ich gern überwunden und besiegt wüsste.
In dieser Woche wurden viele Städte und Gemeinden in Deutschland und in unseren östlichen Nachbarländern von Wassermassen überspült,
die Natur und Zivilisation bedrohen, Existenzen von Menschen zerstören und Menschen töten.
Diese Woche bete ich um die Bewahrung der geschaffenen Welt und die Bewahrung meines Glaubens.
Zum Glück bin ich mit meinem Glauben nicht allein. Unser Glaube ist, wie Johannes schreibt, die Liebe zu Gott und das Halten seiner Gebote (Vers 3).
Unser Glaube erhält uns leider nicht diese Welt.
Aber unser Glaube erhält uns in der schwankenden Welt und er erhält unsere Hoffnung, dass nicht Grauen und Verzweiflung, sondern Liebe und Vertrauen den Sieg davontragen.
Dazu fällt mir eine Geschichte ein - ich weiß nicht mehr, wo ich sie gehört oder gelesen habe: "Das ist Gott - (seufz) leider hat er nicht aufs Bild gepasst", sagt die neunjährige Lena ihrem Lehrer, als der ihr über die Schulter schaut und erstaunt ist, dass sie nicht malt wie ihre Klassenkamerad:innen.
Vielleicht war das nur eine schlaue Ausrede, vielleicht entstammt ihr weißes Blatt echter Ehrfurcht - in jedem Fall hat sie eine sehr wahre Aussage getroffen. Denn eigentlich passt doch auch unser Text heute nicht aufs Blatt. Unvergängliches Leben, ist damit die Auferstehung gemeint? Kann man daran heute noch glauben?
Eigentlich finde ich es ganz gut, dass Gott nicht aufs Blatt passt.
Die Art, wie wir die Welt sehen, kann manchmal sehr dunkel sein. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie es war, als meine Großmutter gestorben ist. Ich habe sie so sehr vermisst, dass die ganze Welt in den Wochen danach dunkel war. Und jetzt stelle ich mir vor, Gott wäre auf diesem Bild drauf, das zeigt, wie wir die Welt sehen. Hoffnung könnte Gott dann nicht mehr geben. Er wäre ja selbst Teil dieses dunklen Gemäldes, er würde selbst in der Dunkelheit sitzen.
Gott passt nicht aufs Blatt, nicht zu dem, wie wir die Welt verstehen, weil sie größer ist als unser Verständnis. Das ist kein Widerspruch zu den Naturwissenschaften, sondern die Anerkennung der Grenzen des menschlichen Intellekts. Und gerade deswegen kann Gott das Blatt, auf das wir unsere Welt zeichnen, erleuchten und Hoffnung geben.
Meine Sorgen sind groß. Zu groß. Sie erdrücken mich fast. Sind zu schwer zum Werfen. Die Wahlergebnisse der rechtsextremen AfD in Thüringen und Sachsen, der Klimawandel, die Care-Krise, der anhaltende Angriffskrieg auf die Ukraine, der Krieg in Israel und Palästina.
Nicht nur unsere Sorgen sind groß. Die ersten Leser:innen des Petrusbrief lebten in Unsicherheit, Angst und Sorge. Ein paar Verse später steht: Der Feind geht umher wie ein brüllender Löwe. Ich denke an das Interview mit Björn Höcke nach seinem Wahlsieg in Thüringen. Der Teufel, der Menschen verschlingt, lese ich im Petrusbrief.
Der Kontrapunkt im Petrusbrief ist herausfordernd: Gott kümmert sich. Setz dich. Ruh dich aus. Der Kaffee ist gleich fertig. Der Tisch gedeckt. Atme tief durch. Gott kümmert sich um uns. Sie sorgt für uns, so dass wir die Sorgen wieder tragen können, sie uns nicht erdrückt und wir handlungsfähig werden in dieser Welt.
Wenn ich diese einzigartige Wortkombination in den Psalmen lese, spüre ich, wie mein Herz vor Aufregung vibriert.
Hier liegt ein Appell des Selbst an etwas anderes in uns vor, etwas, das einerseits eine direkte Verbindung zum Erhabenen hat, andererseits aber nicht immer im Hier und Jetzt präsent ist.
Diese Seele ist eine schwer fassbare Sache. Sie ist der Grund, warum wir über bestimmte Momente, aus der Tiefe unseres Seins, über die Erfahrung des Lebens staunen und für die Geschenke, die wir erhalten, dankbar sind. In dieser Zeit sagt unser ganzes Wesen Segen und Dank.
Es ist klar, dass wir auch in unserem täglichen Leben Danke sagen und segnen, aber wenn meine Seele aus der Tiefe hervorbricht, wenn wir die gleiche Erhebung verspüren, sind das Situationen, in denen wir die Gegenwart Gottes spüren. Diese Momente geben uns die Kraft, uns mit der materiellen menschlichen Existenz voller Herausforderungen auseinanderzusetzen.
Wer sind denn diese geringsten (Schwestern und) Brüder, frage ich mich jedes Mal besorgt, wenn ich diesen Vers höre oder lese. Arme und Fremdlinge, sagt mir die innere Stimme – die sind da gemeint. So steht es doch in der Hebräischen Bibel. Immer wieder.
Und wie halten wir es mit den Armen? Wenn wir beispielsweise in diesen Tagen im Urlaub den Menschen begegnen, die wie die biblischen Tagelöhner auf Arbeit warten? Und immer noch da sitzen, wenn wir wieder vorbeikommen? Schauen wir betreten weg oder erheben wir uns gar über andere Länder und ihre schlechten Sozialsysteme?
Und wie ist das mit den Fremden? Sind unsere Kirchengemeinde und Gottesdienste fremdenfreundliche Orte? Begrüßen wir die, die uns fremd sind und die sich fremd fühlen? Helfen wir dazu, dass unsere ganze Gesellschaft fremdenfreundlich bleibt und noch mehr wird? Oder stimmen wir ein in die harschen Töne derer, die finden, das Boot sei nun langsam mal voll genug?
Man kann den Wochenspruch ängstlich hören. Und sich davor fürchten, wieder einmal nicht genug getan zu haben. Man kann ihn aber auch fröhlich hören, dankbar dafür, dass einem in jedem Armen und jeder Fremden das gütige Gesicht Jesu von Nazareth anlachen kann. Und wir dann gar nicht anders können, als unseren geringsten Schwestern und Brüdern etwas Gutes zu tun. Allen kann man nicht helfen. Aber der einen oder dem anderen, die uns jeden Tag begegnen, schon. Als Einzelne und als Gemeinden.
„Geknicktes Rohr“ und „glimmender Docht“ sind Bilder für Leben, das gefährdet, aber noch nicht unrettbar beschädigt ist. Viele lesen diesen Text heute nur auf Einzelne bezogen – Gott schützt die Schwachen, die Opfer. Das ist nicht falsch. Jesaja aber spricht hier vom Kollektiv, vom Volk Israel. So, wie Gott nach der Sintflut den Menschen zusagt, die Erde nicht zu zerstören, so sagt er nach der Katastrophe des Exils dem Volk Israel zu, dass es weiter bestehen und nicht untergehen wird.
In der vergangenen Woche haben wir in den Synagogen den Übergang von den drei Wochen der Mahnung zu den sieben Wochen der Tröstung begangen. Von der Ankündigung des Gerichts für die Völker und für Israel zur Ankündigung der Rettung und Erlösung für die Überlebenden.
Diese Zusage Gottes gilt unabhängig vom Handeln der Menschen und Völker. Wir sollen Gutes tun, aber Gott wird das Leben bewahren, auch wenn Menschen Fehler machen.
Demut ist ein zentrales Element für die Beziehung zwischen Mensch und Gott. So schreibt es auch der Prophet Micha: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ (Micha 6,8)
Demut kann als eine Art Wake-up-Call für das Verhalten der Menschen untereinander verstanden werden: Hey, du bist nicht das Größte auf der Welt! Du musst dich gar nicht mit anderen vergleichen. Denn vor der Größe Gottes sind wir alle genauso klein.
Die Anerkennung der Größe Gottes bedeutet nicht, dass wir uns nun ganz besonders klein machen müssen. Sie gibt uns vielmehr die erleichternde Erkenntnis: Vor Gott darf ich so klein sein, wie ich bin.
Gerade jetzt in diesen turbulenten und ungewissen Zeiten wünscht man sich, dass es dem jüdischen Volk gut geht. Schreckliche und gewaltige Gefahren ausgesetzt, rückt das jüdische Volk entschlossen zusammen, sowohl in Israel als auch in der Diaspora. Der Midrasch behauptet, „Jerusalem wird das Licht der Völker der Erde sein, und sie werden zu ihm hingehen.“
An diese hoffnungsvolle und glückliche Vorstellung wollen wir glauben und festhalten. Im Widerspruch zu jener Hoffnung steht ein Zitat vom österreichischen Rabbiner, Simon Bernfeld, „die Erwählung hat dem jüdischen Volk nur Pflichten auferlegt, aber ihm keine bevorzugte Stellung gewährt.“
Das jüdische Volk hat zwar die Pflicht ein „Or l’Gojim“ ein Licht unter den Völkern zu sein, aber eben auch die Pflicht sich gegen dessen Feinde zu verteidigen.
Besser wäre es, wenn wir diesen Kampf nicht allein bestreiten müssen, wenn wir Verbündete hätten – ob allein oder gemeinsam, werden wir dafür sorgen, dass es dem jüdischen Volk doch gut geht.
Der Wochenspruch klingt wie die biblische Version von „check your privilege!“.
Was ist uns gegeben? Was wird man bei uns suchen? Wozu sind wir berufen in der Nachfolge Jesu und gemeinsam mit Gottes Volk Israel?
Die christliche Geschichte bietet viele konkrete Anknüpfungspunkte, um kritisch zu hinterfragen, ob wir mit dem uns Anvertrauten und mit denen, die uns anvertraut wurden, angemessen umgegangen sind. Nicht immer war das der Fall.
Aus vielem können wir lernen. Müssen wir lernen. Dabei wurde uns so viel mitgegeben: Check your privilege – das Privileg, durch Jesus zum Gott Israels zu gehören, das Privileg, an den reichen Traditionen der Hebräischen Bibel Anteil zu haben und auf ihr aufbauend weitere Traditionen zu prägen, das Privileg, im Nebeneinander der Traditionen Gott zu loben und die Welt in Gottes Sinne zu gestalten.
Check your privilege – nutzen wir, wonach man bei uns suchen kann!
Es werde Licht. So erzählt der Hymnus auf die Lebenskraft (Gen 1), wie alles Leben wird.
Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollt ich mich fürchten? So besingt Psalm 27 die Kraft, die uns Mut und Hoffnung gibt.
Wenn Kinder im Dunkeln Angst haben, kann man (außer sich dazu legen) eine Nachtleuchte anmachen, ein schwaches Licht, das nicht am Schlafen hindert, dass aber hell genug ist, die Angst zu nehmen.
Lebt als Kinder des Lichts. Ohne Angst. Und noch mehr: ohne Neid, Ungerechtigkeit und Lüge. Licht ist Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit, heißt es in unserem Wochenspruch. Ein weites Herz, ein offener Blick, ein aufrechter Gang. Das ist Licht.
Licht ist also gerade nicht Wettern gegen die Kinder der Finsternis, gerade nicht: wir drinnen, die draußen, und: wir haben die Wahrheit, die nicht. Das findet man zwar auch in der Bibel (Joh und JohBriefe), aber das ist genau nicht gemeint, wenn hier steht: Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit. Lebt als Kinder des Lichts.
Paulus schreibt an die Gemeinde in Ephesus und über sie auch an uns, an die nachgeborene Christenheit. Und er schreibt über eine ungeheure Zumutung, die für manche noch aktuell ist. Wir, die einst fern waren, sind nicht mehr Fremdlinge im Haus Gottes, sondern Hausgenossen! Schon die frühe Theologie der, sagen wir mal Kirche, konnte schwer mit dem Fremdling sein leben und hat den Messias Jesus in die Schöpfung hinein geheimnisst.
Warum war und ist es so schwer, die Erstlingschaft Israels anzuerkennen? Ist es nicht wunderbar, dass wir Hausgenossen im Haus Gottes sein dürfen? Nicht mehr fremd, weder Israel noch Gott. Ein Geschenk, das den Neid ausblenden sollte, der uns seit so langer Zeit begleitet, der letztlich Israel die Erwählung absprach.
Nehmen wir doch das Geschenk, das auch zum sehr lebendigen Sein ruft: Hausgenoss*innen Gottes an Israels Seite.
„Und nun spricht der Herr“ – ein Anfang, den man leicht überliest, denn dann folgen ja so herzerwärmende Worte: „der dich geschaffen hat, Jakob und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“
„Und nun“ aber verweist zurück auf das vorher Berichtete. Gott hat gestraft und vernichtet. Diejenigen, die ins Exil fliehen konnten, waren die Glücklichen. Jesajas Botschaft von der Zuwendung Gottes, von seiner Liebe, ist keine Schönwettertheologie, sondern nur eine Seite Gottes.
Im jüdischen Kalender haben wir gerade die „7 Wochen der Tröstung“. Vom Tag der Erinnerung an die Tempelzerstörung bis zum jüdischen Neujahrsfest lesen wir jede Woche Texte Jesajas. Gott bekräftigt seine Zuwendung zu Israel, zum jüdischen Volk. Juden aber, wie alle Menschen, sind von Gott in die Verantwortung gerufen. „Du bist mein“.
In zehn Wochen zur Bikini-Figur!
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So schwer kann das doch nicht sein: Sportprogramm durchziehen und endlich.mal.durchatmen – dazu den kostenpflichtigen Online-Kurs buchen und das Journaling-Buch inkl. Duftkerze bestellen. Dann klappt es ganz bestimmt mit dem Sommerbody und mehr Achtsamkeit im Alltag.
WER´S GLAUBT, WIRD SELIG.
Die Redewendung spielt mit dem Wochenspruch für den 5. Sonntag nach Trinitatis, in der Fassung der Lutherbibel von 1984 wird dies noch deutlicher: „Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es“.
Die Redewendung parodiert das Bibelwort: Glaubst du wirklich, du kannst allein aus Glauben selig werden? Wie naiv kann man sein! Du bist deines Glückes Schmied.
Das Bibelwort lässt sich davon nicht beirren: WER GLAUBT, WIRD SELIG. Gott hat es geschenkt.
Und ich? Lasse den Bikini weg und mache es mir am äußersten Rand meiner inneren Mitte bequem.
Was ist denn „das Gesetz Christi“? Ich lese unseren Wochenspruch in Verbindung mit Galater 5,14. Paulus zitiert dort 3. Mose 19,18: „Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort erfüllt: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“. Die Gemeindeglieder in Galatien sollen in ihrer christlichen Freiheit einander und die anderen im Blick behalten.
Unseren Wochenspruch so zu verstehen, heißt:
1. Das Lastentragen geht nur mit liebevoller Haltung: um Lasten einander anzuerkennen, um für eine gerechte (Lasten)Verteilung zu kämpfen und dafür zu streiten, dass auch Privilegien beendet werden, von denen wir selbst profitieren.
2. Auch die Selbstliebe ist wichtig, wenn wir einander Lasten tragen, denn der Sinn ist weder Selbstüberforderung noch Selbstaufgabe.
3. Das „Gesetz Christi“ ist vor allem die Übernahme der Tora und ihre Verheißungen für eine neue Gemeinschaft.
Das Lukas-Evangelium erzählt vielfach von „Verlorenheit“ und verknüpft diesen Terminus mit gesellschaftlichen Fragen. Verloren sind die, die dem Gemeinwohl schaden. Verloren sind die, die dem Ideal von Gerechtigkeit gegenüber abgestumpft sind.
Lk 19 erzählt die bekannte Geschichte von Zachäus, dem Zöllner. Am Ende dieser Geschichte steht dieser Satz vom Menschensohn. Ein schwieriger Beruf und eine unliebsame Rolle in der eigenen Community: für die römischen Besatzer Geld einzutreiben. Der Autor des Lukasevangeliums setzt sich viel mit der Frage auseinander, wie mit Personen aus der eigenen Gemeinde, die wohlhabend sind, umzugehen ist und wie diese mit ihrem Geld umgehen können, sodass es der Gemeinde dient.
Zachäus berichtet Jesus beim gemeinsamen Mahl, dass er Menschen entschädigt, die er betrügt und die Hälfte seines Besitzes den Armen gibt. Ist Zachäus, dessen Name „gerecht“ bedeutet, also womöglich zu vorschnell von seinen Mitmenschen als „verloren“ angesehen und ausgeschlossen worden? Jesus fungiert hier als Vermittler, als Mediator. Er ermöglicht den Mitmenschen, nochmal neu auf Zachäus zuzugehen und ihn als Teil der Gemeinschaft zu begreifen.
Jesus ruft die Menschen, die unter der Last knien, zu sich ... Er bietet ihnen einen neuen, anderen Weg. Er verspricht ihnen nicht, dass ihre Sorgen verschwinden werden, sondern verspricht ihnen Erquickung. Dieses alte deutsche Wort bedeutet „Frische“. Etwas, das ihnen die Kraft gibt, mit den Schwierigkeiten des Lebens umzugehen.
Das Einüben eines spirituellen Weges, welcher auch immer dieser sein mag, erfordert Hingabe von uns. Es ist, als würde man in ein neues Land kommen und eine neue Sprache und andere Bräuche lernen, die wir bis heute nicht kannten. Es gibt diejenigen, die sich entspannen und denken, dass all ihre Probleme und Sorgen verschwinden oder eine Lösung finden werden. Aber das ist nicht der Fall. Ein Mensch bringt sich in jede Situation. Wir können uns selbst nicht entkommen, selbst wenn wir ein Land durchqueren oder einem spirituellen Weg folgen. Aber diese Veränderung führt dazu, dass wir neue Werkzeuge und Fähigkeiten erlernen, die uns Frische verleihen – unsere Energie wird sich verändern und wir werden die Dinge aus einer anderen Perspektive sehen. Dadurch können wir die Herausforderungen des Lebens besser meistern.
Das ist Doping für die Jünger. Ganz ohne blutbildverändernde Zugaben. Das ist ein Energieriegel fürs Amt. Oder in der Kirchensprache: Zuspruch und Ermunterung. Offensichtlich hatten die Jünger das bitter nötig. Jesus sandte sie aus, sie sollten Kranke heilen und das nahende Reich Gottes verkünden. Das kam nicht überall gut an. Die Türen wurden zugemacht. Ein nahendes Gottesreich verbreitet offensichtlich nicht nur Freude. Die Jünger ließen den Kopf hängen. Sie brauchten neue Energie: unseren Wochenspruch! Wir auch. Das Reich Gottes ist fern wie selten: SEIN Heiliges Land Israel wird von allen Seiten bedroht, die russische Orthodoxie glaubt, dass sie mit Waffengewalt helfen müssen, SEIN Reich zu errichten und wir sollen nicht aufhören es zu verkünden. Das werden wir nicht. Wir hören nicht auf.
Denn „nur die, die das Kommende sehen, vermögen etwas in der Welt als Zeichen des Kommenden zu deuten.“
Am Sonntag feiern Christ*innen das Dreieinigkeitsfest. Erst 1334 wurde es im kirchlichen Kalender eingeführt. Da in der Bibel nichts von einer Trinität steht, hat man „Spuren der Trinität“ in beiden Testamenten gesucht. Und was nicht bei Drei auf dem …(Sie wissen schon), wurde für das Trinitatisfest als Predigttext genutzt: das 3x „Heilig“ in Jes 6,3, der dreigliedrige aaronitische Segen in Num 6,24-26, oder eben der dreigliedrige Briefschluss in 2. Kor 13,13, den viele Predigthörer*innen auch als Kanzelgruß kennen.
Das Trinitatisfest trennt Christ*innen und Jüd*innen, aber der Glaube an den einen Gott und seine Eigenschaften verbindet sie: Chesed/Charis/Gnade kommt in der Hebräischen Bibel 245 mal vor, oft in Verbindung mit „Barmherzigkeit“: „Du, Gott, bist barmherzig und gnädig.“ (Ps 86,15). Die Ahava/Agape/Liebe Gottes zu seinem Volk durchzieht die ganze Bibel: „Nicht hat euch der Herr erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker, sondern weil er euch geliebt hat.“ (Dtn 7,7). Und die Ruach/das Pneuma/der Geist, der von Beginn der Schöpfung da war, ist die Kraft Gottes, die Christ*innen und Jüd*innen verbindet.
Der Geist Gottes, der am Anfang auf der Wasseroberfläche schwebte, ist der schöpfende Geist, der, durch den alles ward, die erste Ursache. Die erste Ursache ist das Wesen der Verursachung von Ereignissen in der Welt, die grundlegende Art und Weise, wie sie geschehen. Und die Weltereignisse, sagt Sacharja, geschehen nicht durch Gewalt. Die Welt wurde mit Worten erschaffen. Eine seltsame Aussage an sich, und besonders aus dem Mund eines Gottes, der sich "Zebaoth" nennt, was hebräisch Heere oder Armeen bedeutet. In unserer Welt sind Armeen die Verkörperung von Macht, und militärische Macht ist oft die erste Ursache, die nicht schöpft, sondern zerstört. Wenn wir aufhören zu zerstören und mit der Schöpfung beginnen wollen, müssen wir die Armee nicht aufgeben, sondern ihr Wesen ändern: von Kraft zu Geist, von Gewalt zu Wort.
Früher einmal dachte ich, der Vorstellung von einer Himmelfahrt Jesu Christi läge ein überholtes Weltbild mit einem Himmel in einem weiteren Stockwerk über die Erde zugrunde. Inzwischen bin ich vorsichtiger damit, alle Menschen, die früher lebten, für etwas naiv und ungebildet zu halten. Außerdem habe ich viele Texte der sogenannten jüdischen Mystik gelesen, aus Antike und Mittelalter stammende Texte, die Himmelsreisen von Menschen beschreiben. Wenn man diese Literatur genau liest, dann kann man eigentlich die kleinen Hinweise nicht übersehen, an denen erkennbar ist, dass alle solche Vorstellungen von einem Himmel oben als Bilder einer unvorstellbaren und daher eigentlich auch nicht beschreibbaren Wirklichkeit Gottes gemeint sind. Reden über das, worüber man eigentlich schweigen müsste. Auch in diesen jüdischen Texten gibt es Figuren, die die Menschen mit vor den göttlichen Thron mitnehmen, gleichsam nach oben ziehen. Die Vorstellung von einem Bereich Gottes, in dem wir einmal in alle Ewigkeit bei ihm sein dürfen (und gerade deswegen ganz und gar auch bei uns selbst sind), verbindet jüdische und christliche Tradition. Sie ist, wenn wir den metaphorischen Charakter der Bilder beachten, keine naive Hoffnung, sondern Ausdruck unserer Hoffnung, dass Gott nicht im Tode verlässt, was er selbst in diese Welt und ins Sein gerufen hat. Alle werden mitgenommen, alle – wenn schon nicht ab nach oben, so doch ab zu IHM.
בָּר֥וּךְ אֱלֹהִ֑ים אֲשֶׁ֥ר לֹֽא־הֵסִ֘יר תְּפִלָּתִ֥י וְ֝חַסְדּ֗וֹ מֵאִתִּֽי׃
Baruch Elohim ascher lo hessir Tfilati weChassdo me´iti.
Eine wunderschöne Behauptung, aber woher weiß ich, dass sie stimmt? Viele von uns machen sich angesichts von Krieg, Gewalt, Hunger, Tod, Hass, Vergewaltigungen und Populismus mehr Sorgen um diese Welt als jemals in unserer Lebenszeit gekannt. Das Wort „Schalom“, „Frieden“ kommt im täglichen Gebet vor, im Schabbatgottesdienst dutzende Male – wie kann ich dann behaupten, der Ewige verstößt mein Gebet nicht? Diese irdischen Gräueltaten sind von Menschen gemacht! Gott läßt uns weiterhin teilhaben an seiner Chessed, seiner Liebe. Sie fließt in uns und offenbart sich überall um uns herum. Sie tröstet uns.
Ein paar Tage nach Pessach, als wir mit meiner Gemeinde in Celle am Tisch saßen und die Hagada lasen, lese ich den Psalm „Singt dem HERRN ein neues Lied, denn er hat Wunder getan.“
Pessach nach dem 7. Oktober 2023.
„Warum ist diese Nacht anders als alle übrigen Nächte?“
Wem sollen wir singen,
Und worüber?
Wem sollen wir dankbar sein,
und wofür?
Wie können wir innere Freude finden, wenn sie nur halb da ist?
Wie können wir überhaupt singen?
„Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder.“
Das Wunder geschah damals. Der Pharao hat die Israeliten freigelassen. Die Freiheit ist etwas Grundlegendes, das wir als Menschen brauchen, um ein Leben zu führen.
Der Weg, um auch heute noch dieses Wunder zu finden, ist vielleicht Vertrauen. Das Vertrauen, dass sich die Herzen der Entscheidungsträger durch globale, sinnvolle Gebete und Taten in die emphatische Richtung wenden. In die Richtung, sie nach Hause zu bringen: Kinder, Frauen und Männer. Genau wie Mose gesagt hat: let my people go. Dafür beten und singen wir.
Paulus spricht aus der Überzeugung heraus, in Christus einen Neuanfang wagen zu können. Zwar will er damit ermöglichen, Vergangenes hinter sich zu lassen, doch bedeutet ein Neuanfang zugleich, das Hinterlassene erneut zu betrachten, um damit einen Umgang zu finden.
Wie begegnen wir unserer Vergangenheit? Schauen wir urteilend darauf und können es nicht abwarten, ihr den Rücken zu kehren? Oder lächeln wir in Erinnerung an schöne Momente und schätzen unseren Weg?
Gerade Paulus sieht sich in einer solchen Situation. Er fühlt sich zu Christus berufen, muss aber neu einordnen, wie es sich mit seiner jüdischen Vergangenheit verhält. Ein Neuanfang bedeutet für ihn nicht, Vergangenes niederzureißen. Er weiß sich weiterhin in seiner jüdischen Tradition und begegnet ihr in voller Dankbarkeit. Durch seine wertschätzende Begegnung ist es ihm möglich, hoffnungsvoll nach vorne zu blicken und ungewisse Schritte zu wagen.
Der gute Hirte könnte eigentlich DAS christliche Symbolbild sein. Und war es anfangs auch. Bevor sich das Kreuz als christliches Zeichen durchsetzte, war es – das wissen wir aus alten Malereien – der schaftragende Hirte, als der Jesus dargestellt wurde. Der gute Hirte könnte auch deshalb DAS christliche Symbolbild sein, weil in ihm der ganze Klangraum, in dem die Jesusgeschichte lebt und wirksam wird, deutlich wird. Wenn Joh vom guten Hirten spricht, dann legt er den Hörenden einen Brühwürfel hin, der erst mit dem Wasser des Alten Testaments seinen ganzen Geschmack entfaltet. Psalm 23 ist dabei nur eine der Zutaten, andere Psalmen verstärken diesen Geschmack, Worte aus den Propheten geben ihre Note dazu, die Geschichten von David und Bilder aus der Tora, die Gott als Hirten und Fels Israels loben, zeigen: Der gute Hirte, der uns im Neuen Testament aufgetischt wird, vereint viele Hirten-Eigenschaften auf sich, ist nicht eindimensional zu fassen. Eins aber zieht sich durch: Der gute Hirte ist der treue. Treu zu seiner Herde, dem Volk Israel, und darum auch treu zu uns.
Der erste Petrusbrief kommt gleich zur Sache: Im dritten Vers steckt schon die ganze frohe Botschaft „in einer Nussschale“. Ohne die Auferstehung Jesu müssen wir gar nicht erst weiterreden. Sie öffnet den Blick, das Herz, den Mund, die Hände. Denn Gott hat Jesus aus dem Tod ins Leben geholt wegen seiner großen Barmherzigkeit. Seine Auferstehung ist Gottes Siegel dafür, es lebe das Leben! An diese Barmherzigkeit Gottes hatte schon Mose am Sinai appelliert, zur Hölle mit dem Goldenen Kalb! Mit dieser Barmherzigkeit hält Gott unsere Tatkraft frisch und unsere Hoffnung lebendig wie ein Neugeborenes. Mit dieser Barmherzigkeit krönt Gott nach Psalm 103 die, die ihre Hoffnung auf ihn setzen. Auf diese große Barmherzigkeit Gottes können Jüdinnen und Christen gleichermaßen hoffen.
Der Schlüssel zum Glauben, zu Gott, ist am Anfang, in der Mitte und am Ende, dass Gott Herr ist über Leben und Tod. Und wir bei ihm leben, auferstehen bei ihm in seinem Licht. Ohne das, sagt der Jude Paulus, wäre alles nichts.
Dieser Glaube, dass Gott sterben lässt und zum Leben erweckt, kommt mitten aus dem jüdischen Lobpreis. Nicht umsonst wird der Gesang der Hanna aus dem Samuelbuch an Ostersonntag gelesen. Nicht zufällig gehen wir Ostern bis an den Anfang der Schöpfung aus dem Nichts. Vom Kreuz zum Lebensbaum. Es ist also nicht richtig zu meinen, in Jesus und seiner Auferstehung sei Gott ein anderer geworden. Vielmehr hat Gott bestätigt, wie er war und bleibt. Der, der lebendig macht, in die Freiheit führt, aus dem Tod ins Leben. Durch Jesus kommen wir, Christinnen und Christen, zu diesem Glauben, zu diesem Lobpreis, zu dieser Erfahrung und zu diesem Segen dazu. Das ist der Schlüssel – und bleibt es von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Ostern mag ja immer Platz für einen Schmunzler sein: Sucht jemand unter der Straßenlaterne auf dem Boden. Kommt ein zweiter, fragt, kann ich helfen. Sagt der Suchende: Ich habe meinen Schlüssel verloren. Suchen sie eine Weile zu zweit. Fragt der Helfende: Sind sie sicher, dass es hier war? – Sagt der Suchende: Nein, gar nicht. Es war da drüben im Dunkeln. Aber hier ist es heller zum Suchen. –
Man kann den Schlüssel ja sonst wo suchen, im Kreislauf der Natur, im Aufbrechen der Blütenpracht, in der Fruchtbarkeit des Lebens, also Sinnbild die Osterhasen, in der Eierpracht im Gras, in den durch Schokolade ausgelösten Glückstransmittern, in der eigenen Erneuerungskraft, in der guten menschlichen Resilienzfähigkeit oder wo auch immer, mag heller sein. Hier, bei Christus, dem Juden, in dem ganz Gott ist, der sterben lässt und lebendig macht, ist der Schlüssel. Frohe Ostern.
Sonne auf der Haut
Wärme und Licht
Endlich
Die Natur bricht auf
Wieder
Nach allzu langem Winter
Es sprießt und blüht
Zwitschert
Ob das auch für unser Leben möglich ist:
Ein Neuanfang?
Der Vers ist eingebettet in ein Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus, in dem Jesus von der "Neugeburt" als Zugang zu Gottes Reich spricht – anders gesagt: Vom Geschenk des Neuanfangs in Gottes Wirklichkeit (vgl. Wengst, Klaus: Das Johannesevangelium, ThKNT IV, 102-124), die bereits im Hier und Jetzt anfängt, die sich durchsetzt und nicht einfach akzeptiert, dass die Welt so ist, wie sie ist.In Jesus, seinem Weg mit den Menschen, seiner Kreuzigung und Auferweckung zeigt sich Gottes Liebe (ich möchte hinzufügen: auch in Jesu Weg, nicht nur). Wer auf Jesus und damit auf Gott vertraut, hat teil an seiner:ihrer Wirklichkeit - in Johannes' Worten: hat das ewige Leben.
Ein Neuanfang? Möglich!
Und gegen jede antijüdische Auslegung: Was Johannes hier erzählt, ist eine Diskussion zwischen zwei jüdischen Menschen, die beide das Gesetz und die Verheißungen Gottes an Israel ernstnehmen und gleichzeitig in einer Tradition stehen, die auch die Rede von Gottes Gnade gut kennt. Der Titel "Menschensohn" legitimiert Jesus mit Bezug auf Daniel 7 als jemanden, der diesem Gott nahe ist und von ihm Zeugnis ablegen kann.
Der Menschensohn beginnt seine Karriere im Danielbuch (Dan 7,13f).
Dort erscheint er als Bevollmächtigter Gottes („Und ihm wurde Macht gegeben und Ehre und Königsherrschaft, und alle Völker, Nationen und Sprachen dienen ihm.
Seine Macht ist eine ewige Macht, die nie vergeht, und seine Königsherrschaft wird nicht untergehen“). Für Jesus selbst – und für seine Anhängerschaft – war das ein passendes Modell, wie man Jesus in seinem Verhältnis zu Gott verstehen konnte.
„Macht“ und „Königsherrschaft“ könnte man nun so deuten, dass der Menschensohn Anteil an Gottes Ehre hat, und ihm darum zu dienen ist.
Das Neue Testament – als jüdisches Buch – kehrt diese Logik um: Wer oben ist, dient – so dient Gott seiner Schöpfung, sonst hätte sie keinen Bestand. Der Jesus der Evangelien folgt dieser Linie: Lebenshingabe anstatt Machthabe.
Antike Menschen hätten verstehen können, dass Jesus mit seinem Tod einen Preis bezahlt, der andere (der Text spricht von vielen) aus ihrer Schuldskalverei freikauft.
Das ist ein Modell, dem Tod Jesu einen Sinn zu geben. Ich erinnere immer gerne daran, dass der Tod Jesu für seine Anhängerschaft ein Rätsel war, für das man eine Lösung finden musste.
Jesu Tod löst nicht das Problem eines zornigen Gottes, sondern Gott löst das Problem eines sonst völlig unsinnigen Todes – und gibt uns damit ein Beispiel, einfach mal von den anderen und ihrem Wohlergehen her zu denken.
Seit drei Wochen schon hüllt mich das Lila der Passionszeit ein. „Mitten wir im Leben sind / mit dem Tod umfangen“, so habe ich gesungen. An Lätare höre ich nun helle Worte, die bereits nach Ostersonntag klingen. Ich entscheide mich, das konditionale Satzgefüge als Versprechen zu deuten: „In die Erde leg ich / Was auferstehen soll“. Gott wählt für sich den Weg eines Weizenkorns, von der Erde unter die Erde in den Himmel.
Leben und Tod, Tod und Leben – sie sind dialektisch aufeinander bezogen. Sie begrenzen sich nicht gegenseitig, sondern das eine geht aus dem anderen hervor. Und so ist es meine Hoffnung und meine Sehnsucht in diesen Tagen, verwandelt zu werden, ans Licht und ins Freie zu vielfältigem Leben durchzubrechen.
An Lätare hält Gott mir einen rosafarbenen Mantel hin, ich schlüpfe hinein. Dabei singt sie leise: „Mitten du im Tode bist / mit dem Leb´n umfangen“.
„Mitten wir im Leben sind“ von Martin Luther (1524)
„Sog in die Wolken“ von Marie Luise Kaschnitz (1972)
Wohin ist dein Blick gerichtet? Der Evangelist Lukas fordert uns heraus den Blick nach vorne zu richten. Walter Benjamin schreibt 1940: „Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen.“ Die Wahrheit beginnt, das habe ich von Jürgen Ebach gelernt, mit zwei: Bei den Toten verweilen. Den Blick nach vorne richten. Und manchmal braucht es die Radikalität - die von Lukas oder die von Benjamin.
Die Liebe Gottes steht im Zentrum der Theologie des Alten Testaments. In dieser Tradition, in dieser Überzeugung entfaltet auch Paulus seine Theologie. Der Gott Israels liebt sein Volk mit ewiger Liebe, wie Jeremia sagt - das heißt immer wieder neu -, ist immer wieder enttäuscht und zornig und kann doch von seiner Liebe nicht lassen, so wenig, dass er sie nun auch der Völkerwelt in Christus Jesus zukommen lassen will. Als wir noch Sünder waren, die Tora kannten, aber nicht befolgten, die Tora nicht kannten, aber sie hätten kennen können, da wendet sich Gott der Völkerwelt zu, wie er sich auch nie wegen der Sünden Israels von Israel abgewandt hat. So wie sich Gottes Liebe gegenüber Israel durch die Befreiung aus Ägypten erweist, so erweist sie sich gegenüber der Völkerwelt analog im Durchgang durch das Wasser der Taufe als Befreiung. Befreiung nämlich von der Knechtschaft der egomanen Orientierung, Befreiung zum nicht überheblichen Handeln, Glauben und Hoffen auf Gottes Reich.
Was für eine Hoffnung! So als sei der Teufel einer von diesen verkleideten Teufelchen auf den Rosenmontagsumzügen: harmlos-lächerlich. Zuletzt haben das sadistische Massaker der Hamas und der andauernde Gaza-Krieg die wahre Fratze des unmaskierten Bösen offenbart.
In der Bibel und in der rabbinischen Literatur gehört der Teufel/Satan zum Hofstaat Gottes. Der schlaue Versucher, der Anklage erhebt und falschen Schein aufdeckt, wird allerdings von Gott begrenzt und gelenkt. So heißt es z.B.: Als der Satan Israel an Jom Kippur wegen seiner Sünden anklagt, versteckt Gott die Sünden, die er gefunden hat, so dass Israel keine Strafe erleidet.
Im 1. Joh steht der Satan für das Unrechtsregime Rom. Ihm wird der Kampf angesagt, weil er den Willen Gottes in der Tora verwirft, polarisiert und das Recht verdreht. Das Böse für immer aus der Welt schaffen, das kann nur Gott allein.So eine Vorstellung ist allerdings auch bequem: Wo Teufel uns reiten, können wir uns in der Opferrolle einrichten, die Welt in Gut und Böse einteilen und Gott machen lassen.
Die Passionszeit ist die Gelegenheit, den Teufel zu erkennen, der wir selber manchmal sind. Als erwachsene, autonome Subjekte sind wir selbst für unsere Taten verantwortlich: „Ich habe euch heute das Leben und den Tod vorgelegt, den Segen und den Fluch. Wähle das Leben, damit du lebst und deine Nachkommen auch leben können!“ (Dtn 30,19)
Was für eine Hoffnung in Jesu Worten steckt, dass sich vollenden könnte, was in den Prophetenbüchern, die er und seine Jünger*innen kennen, geschrieben steht. Ein ‚Menschensohn‘ ist dort angekündigt, ein apokalyptischer Erlöser. Seine Jünger*innen und er hoffen auf Veränderung. Auf ihrem Weg sammeln sie Mut und Überzeugung, dass sich das Schicksal in Jerusalem erfüllen wird. Das Schicksal des Menschensohnes – ist Jesus dieser Menschensohn?
Welche Hoffnung wird sich in Jerusalem erfüllen, welche Erlösung wird geschehen? Wird überhaupt eine Erlösung geschehen? Jüdinnen und Christen teilen das Noch-Nicht der Erlösungshoffnung. Juden und Christinnen teilen die Haltung, dass noch nicht vollendet ist, worauf sie hoffen. Die Identifikation von Ereignissen als vollendete Hoffnung, wird sich immer wieder aufbrechen, erden, irritieren lassen müssen.
Diese Aufforderung klingt unschuldig. Sie ist aber Teil einer Substitutionstheologie, die Juden, die nicht an Jesus glauben, als von Gott verworfen darstellen. Dies wird deutlich, wenn man das fehlende Ende des Verses ergänzt: „wie in der Verbitterung“. Damit ist Meriwa gemeint, also ein Ereignis, das wir in Exodus 17 nachlesen können.
„Heute“ sollen die Adressaten des Hebräerbriefes nicht ihr Herz verstocken, also Gott gegenüber ungehorsam sein, wie es damals das Volk Israel in der Wüste tat.
Für den Hebräerbrief und die Alte Kirche sind die Juden durch Ungehorsam gegenüber Gott verworfen worden – schon in den vierzig Jahren der Wüstenwanderung. Dann wären aber die folgenden 90 Prozent der hebräischen Bibel völlig sinnlos. Die jüdische Tradition hingegen feiert jeden Freitagabend, wenn wir Psalm 95 singen – den der Hebräerbrief hier zitiert – Gottes Liebe zu Israel.
Zum wiederholten Mal ist ein Jahr zu Ende gegangen und das darauffolgende Jahr bietet wenig Hoffnung auf bessere Zeiten. Ein weiteres Jahr von Krieg in der Ukraine, ein weiteres Jahr mit den immer stärker werdenden Kräften der Rechtsextremen, ein Jahr in dem Juden und Jüdinnen sowohl innerhalb Israel als auch in der Diaspora, um ihre Sicherheit fürchten müssen.
Angesichts jener fürchterlichen Ereignisse und des allgemeinen deprimierenden Weltzustandes, wäre es allzu einfach für uns in die Finsternis der Hoffnungslosigkeit zu fallen.
Trotzdem bietet uns Jesaja eine andere Sichtweise an. Zwar bezieht sich das Jesaja Zitat in seinem ursprünglichen Kontext auf das Kommen des Moschiach – an das liberale Juden und Jüdinnen nicht mehr glauben – anstelle dessen möge ein messianisches Zeitalter eintreten. Und um dieses Zeitalter zu erreichen, in dem die Finsternis der Kriege und des Hasses für allemal aus der Welt verschwinden, dann muss menschliches Licht, menschliches Handeln die Welt bestrahlen und allen Völkern der Erde erscheinen.
Nach der Erzählung des Lukasevangeliums spricht Jesus diese Worte zu einer Gruppe von Menschen, die er auf dem Weg nach Jerusalem trifft. Jesus spricht diese Worte also nicht ohne jeglichen Anlass, sondern als Teil eines Gesprächs. Als jüdischer Lehrer reagiert er auf die Fragen derjenigen, die sie stellen. Und in seiner Antwort setzt er bestimmte Kenntnisse bei den Fragestellenden voraus. Jesus erinnert die Fragenden an eine bekannte Vorstellung aus der ihnen gemeinsamen jüdischen Tradition. Er beruft sich auf die Schriften Israels, die vom “Reich Gottes”, das auch mit “Königsherrschaft Gottes” übersetzt werden kann, erzählen. Die Vorstellung von der Königsherrschaft Gottes ist bei den Fragenden also längst bekannt. Spannend ist nun ein Blick darauf, wie die Königsherrschaft Gottes in diesem Vers konzipiert wird: Von überall, von allen Himmelsrichtungen her, kommen diejenigen, die in der Königsherrschaft Gottes einen Platz am Tisch haben werden. Aber auch das ist doch gar nicht so überraschend, sondern bereits in der Schöpfungsgeschichte deutlich geworden: Gott hat alles geschaffen. Und so kann es in der Königsherrschaft Gottes gar keine Grenzen geben. Denn alles kommt und ist von Gott her.
„Wie ist Gott?“ – ist vielleicht eine der Grundfragen gläubiger Menschen. Viele kluge Antworten haben Menschen darauf gegeben und eine ist uns schon früh mitgegeben: Glaubt man dem Johannesevangelium, dann ist Gott vor allem dies: Fülle, Überfluss, Mangellosigkeit. Eine Fülle, die uns nicht überfordernd überfällt, sondern von der wir nehmen.
Von Gott ist genug da. Für uns. Für uns alle. „Gnade um Gnade“ – endlose sich wiederholende, überfließende Gnade. „Gott ist Fülle“, das ist nicht nur eine Beschreibung, es ist Gottes Essenz, schon zwei Verse vorher lesen wir, dass Gott voller Gnade und Wahrheit ist. Gott als Fülle verwehrt sich gegen abgrenzende Vereinnahmung, gegen menschlichen Hochmut, Gott vollständig erfassen zu können. Gott ist die Gnadenfülle, von der wir nehmen und so ist es immer beides: Gott stellt bereit und dann nehmen wir.
Geist ist nicht das Gespenst, vor dem Kinder sich fürchten. Geist ist die Atmosphäre zwischen Menschen, die ich wahrnehme, wenn ich einen Raum betrete; Geist ist die Stimmung, die innere Haltung, mit der ich einem anderen Menschen begegne.
Der Gottesgeist taucht schon ganz am Anfang der Hebräischen Bibel auf, er ist schon vor aller Schöpfung und schwebt über den Wassern (Gen 1). Die Ruach schafft Leben, sie ordnet und strukturiert – Licht und Finsternis, Wasser und Land. Die Sophia, die göttliche Weisheit, spielt vor Gott wie ein Kind, das aus Bauklötzen ein Dorf baut (Spr. 8). Spiel ist zweckfrei. Spielerisch, schöpferisch und phantasievoll ist der Gottesgeist. Nicht ergebnisorientiert, nicht effektiv – aber dafür umso kreativer, bunter und lebendiger. Da zeigt sich, „wes Geistes Kind“ du bist? Ja: Gottes-Geistes-Kind!
Auf Hebräisch lautet Ps 31,16a: „In Deiner Hand sind meine Zeiten“. Es gibt also gute und schlechte Zeiten, aber zu jeder Zeit will ich mich bei Gott bergen. Die Luther-Übersetzung ebnet das Auf und Ab von Zeitläuften ein. So passt der Spruch zu einer Beerdigung, aber in Psalm 31 ist es ein Mensch, der um sein Leben ringt angesichts von Feinden. Die Hand Gottes steht der nach ihm greifenden Hand der Verfolger gegenüber, sie ist die einzige Zuversicht.
Voller Hoffnungen und voller Ängste stehen wir an der Schwelle zu einem Neuen Jahr. Für Menschen in Israel und für Juden und Jüdinnen weltweit hat das Jüdische Jahr 5784 im Herbst furchtbar begonnen, und nun zur Jahreswende des Gregorianischen Kalenders sind die Aussichten nicht besser geworden. Große Teile der Welt scheinen sich darauf verständigen zu können, dass mit der Beseitigung Israels alle Probleme gelöst wären. Die Feinde und Verfolger sind ganz real, die Verzweiflung und das Alleinsein auch. Warum bleibt als Zuflucht allein Gott?
Die Zugehörigkeit zu einem Herrn - das bedeutet Unterwerfung und Schutz zugleich. Kann eine solche Zugehörigkeit alle glücklich machen, zu jeder Zeit, zweimal? In Zeiten der Unruhen, von Krieg, sind wir glücklich, einem Staat anzugehören, von seiner souveränen Macht geschützt zu werden. Aber das gilt nur für die Hälfte der Zeit, für die Hälfte von uns. In der anderen Hälfte sind wir Opfer der staatlichen Macht, ihrer Kriege, wir sind ihre Opfer, Flüchtlinge, oft staatenlos. Was uns alle glücklich machen wird, die ganze Zeit, ist Schutz jenseits der staatlichen Spaltung, Schutz nicht durch das Militär, sondern vor ihm. Der Herr, der diesen Schutz bietet, kommt, ist aber noch nicht da. Zu diesem Herrn zu gehören, jetzt, heißt nicht zu den Staatsmächten zu gehören. Was bedeutet diese Nicht-Zugehörigkeit? Wer würde es wagen, Staatenlosigkeit zu erfreuen? Diese Herausforderung nennt die jüdische Tradition Galut.
Wer ist der Herr? Welcher Weg sollte für ihn vorbereitet werden? Wann wird er ankommen, und was ist damit gemeint, dass er mit voller Gewalt ankommen wird?In verschiedenen spirituellen Lehren, zum Beispiel in der Kabbala, wird großer Wert auf die Korrektur des Verhaltens gelegt, auf die Selbstbeobachtung.Manchmal werden wir vom Zufall regiert. Wir gleichen einer Kutsche, die von widerspenstigen Pferden gezogen wird, und der Reiter, der sie lenkt, ist entweder abwesend oder nicht in der Lage, die Pferde zu führen.Diese Gedanken laden uns ein, unsre Anteile zu erkennen, darauf zu achten, was uns aktiviert, und zu verstehen, was oder wer dieser verantwortliche Treiber ist. Wenn wir uns auf diesen Weg einlassen, verfeinern wir das Werkzeug, das wir sind. Wir bereiten den Weg.
Wenn wir wissen, wie wir die Kutsche mit den Pferden führen, können wir als Kanal dafür dienen, dass feinere Qualitäten durch uns hindurchgehen. Wir verbinden uns mit der Essenz unseres Wesens, das nach Gottes Bild geschaffen wurde. Diese Qualitäten werden durch uns hindurchscheinen. Das ist der Herr. Wir werden nicht zu Gott, aber das göttliche Licht kann durch uns scheinen. Wir werden unsere Rolle in der Welt mit aller Kraft erfüllen können.
Rücken- und Sehprobleme hängen manchmal zusammen. Sind Rücken und Augenmuskeln verspannt, hat das etwas miteinander zu tun. Wenn die Muskeln im Kiefer oder Nacken schmerzen, kann sich das auch auf die Augenmuskeln auswirken. Wer ständig sitzt und starr vor sich hinschaut, wird das mehrfach unangenehm spüren.
Lukas lässt den Körper sprechen bzw. spricht ihn an: den Menschen in seiner leibseelischen Ganzheit. Löst die Blicke aus der starren Fixierung und es kommt Bewegung in den Rücken. Den Kopf in den Nacken. Es geht um mehr als eine Kopfsache! Wer aufsieht, wird aufstehen, früher oder später.
Es waren damals katastrophale, traumatisierende Zeiten für die jüdische Bevölkerung. Hundertausende von Ihnen waren durch die grausame Eroberung der Römer umgekommen. Lukas schaut darauf und reflektiert es: Ein zerstörter Tempel, eine zerstörte Stadt. So furchtbar und aussichtslos dieser Moment der Zeitgeschichte ist, er wird nicht das letzte Wort behalten.
Mehr denn je setze ich darauf, insbesondere für alle jüdischen Geschwister.
Der König kommt. Wie bei einem König zu erwarten, ist er mächtig. Weniger zu erwarten ist aber seine Bescheidenheit. Er reitet nicht auf einem stolzen Ross, sondern auf einem Esel. Dieser Esel führt den heutigen Leser aber leicht in die Irre, denn er denkt: Ah, das ist doch Jesus, die Geschichte kenne ich.
Aber es ist andersherum: Jesus reitet auf einem Esel, weil es die Leser der biblischen Propheten so erwarten. Auch wird in Sacharja 9 einiges erzählt, was nicht recht in die Adventszeit des Friedefürsten passt: Die Feinde Israels werden blutig geschlagen und Israels Gefangene werden befreit. Dies soll uns heute eine Erinnerung sein, dass biblische Friedenshoffnung immer von einer Gegenwart der Gewalt ausgeht, die erst einmal gestoppt werden muss, bevor es wirklich Frieden geben kann. So wie es auch heute mit den Mördern der Hamas geschehen muss bevor es zum Frieden kommen kann.
Aufbruch, nicht Abbruch. So sollt ihr es essen, heißt es vom ersten Pessachmahl bei der Befreiung aus der Sklaverei, der dann jährlich zu Pessach gedacht wird: die Lenden gegürtet, Schuhe an den Füßen, den Stab in der Hand – aufbruchsbereit.
Selbstverständlich ist es bei dieser etwas unbequemen Form des Essens nicht geblieben. Geblieben aber ist die Gewissheit: unser Gott ist ein Befreier, und er ist noch nicht am Ziel. Aufbruchsbereitschaft ist begründet. Und Wachheit in finsteren Zeiten. Sich nicht einlullen lassen, nicht die Augen schließen, die Decke übern Kopf ziehen, sondern Nachtwache halten. In diesen Tagen harren Viele der Befreiung wenigstens einiger der Verschleppten. Das Ende der Welt, die wir kennen, ist nicht Weltuntergang, sondern Beginn einer neuen Welt: Aufbruch ins Reich der Freiheit. Milch und Honig? Gewiss. Vor allem aber: Gerechtigkeit.
„Offenbar werden vor dem Richterstuhl“: Keine schöne Perspektive, jedenfalls auf den ersten Blick.
Da kommt ja alles raus, was bisher verborgen war! Und wir verbergen ja mancherlei, was uns an uns selbst nicht so gut gefällt. Manchen ist das Offenbarwerden vor dem Richterstuhl so unlieb, dass sie am liebsten ganz auf diese uralte, jüdische wie christliche Vorstellung verzichten möchten heute.
Aber können wir wollen, dass die schlimmen Übeltäter dieser Welt einfach davonkommen und über ihre Opfer endgültig triumphieren? Ist der Wunsch der Opfer, dass es am Ende in allen Ungerechtigkeiten doch noch Gerechtigkeit gibt, nicht legitim? Müssen wir nicht Gott das Recht überlassen, alles wieder zurecht zu bringen? Aber Gott sei Dank: Der Richterstuhl Christi ist ja nicht das Amtsgericht um die Ecke.
Da sitzt einer zu Gericht, der es herzensgut mit den Menschen meint. Und so vertraue ich darauf, dass auch etwas davon offenbar werden wird (und schon immer mal wieder offenbar wird im Leben), was gut gelungen ist und anderen geholfen hat. Etwas zurechtbringen kann ja auch heißen: Etwas wieder reparieren, so dass wir einander wieder befreit in die Augen schauen können. Am allerletzten Ende jedenfalls.
Der Apostel Paulus spricht im Kontext des Wochenspruchs von Versöhnung und von dem unbedingten Versöhnungswillen Gottes hat er an vielen Stellen im Judentum lernen können.
Und davon lernen wir Christenmenschen noch heute.
Eine Zumutung, möchte ich ausrufen. Gerade in diesen Zeiten. Und ja, dieses Wort Jesu mutet mir einiges zu, ist mir aber zugleich auch Ermutigung. Frieden zu stiften, hat schon in rabbinischer Tradition einen zentralen Platz: „Suche den Frieden und jage ihm nach (Ps. 34,15). Daran knüpft Jesus an.
Das griechische Wort „eirevopoios“ meint nicht bloße Friedfertigkeit, sondern Aktivität hin zu einem gerechten Frieden, zu Solidarität mit den Schwächsten, Unterdrückten, Ausgegrenzten. Gerade jetzt! Denn die vornehmste Aufgabe von Religion ist Unterbrechung. Halt ein, Mensch, lass dich nicht vom Hass überwinden. Worte der Befreiung heraus aus dem Zwang behaupteter Alternativlosigkeit.
Jesu Wort entspringt dem weiten Horizont der Liebe Gottes, unter dem alle Menschen, sogar mein Feind, eine unverlierbare Menschenwürde behalten. Ein Aufruf zu einer träumerischen Wachsamkeit, die mich zu klaren Worten und Handlungen inspiriert. Und genau daran mangelt es derzeit.
Auf die Betonung kommt es an!
Gerade in diesen Zeiten, gerade mit Blick auf den 9.November.
Bei Dir ist die Vergebung. Christliche Tradition tendiert dazu, die Vergebung zu betonen, ist sie doch,
neben ihrer Zwillingsschwester der Versöhnung, ein Kernelement christlichen (Gottes-)Glauben.
Der Psalm aber und seine Rezeption in rabbinischer Literatur legen eine andere Betonung nahe:
Bei Dir, Gott und zwar nur bei Dir, ist die Vergebung. Der große Midrasch zum Buch Genesis postuliert, dass alle wichtigen Dinge im Leben durch Hoffnung geschehen. So auch die Vergebung.
Warum? Nun – das sagt der Psalm selbst, wenn er in Vers 5 fortfährt: Ich hoffe auf Gott. Es ist also ein psalmischer Dreiklang: Vergebung – Hoffnung – Gott. Nicht in unserem Tun liegt die Vergebung, sondern bei Gott, nicht an uns ist es, andere zur Vergebung zu nötigen, sie liegt bei Gott. Unsere Aufgabe liegt im Hoffen und Hoffnung stärken, da wo auch das „ich“ des Psalmbeters liegt. Gerade jetzt.
Hilft uns so eine fromme Aufforderung gerade weiter, lieber Paulus? In dieser Weltlage? Wohlfeile Statements, die allgemein zu Frieden aufriefen ohne auf die aktuelle Situation einzugehen, haben mich in letzter Zeit wirklich gestört.
Und doch: Nicht nur die politische Sprachform hat ein öffentliches Rederecht. Wir brauchen mehr als Realpolitik. Es braucht jetzt – so wie zu allen Zeiten – auch prophetische Rede, es braucht das Reparieren der Welt mit Worten (Tikkun olam).
Wir brauchen eine Hoffnung, die uns nicht dazu auffordert mit den Händen im Schoß zu warten, sondern eine Vision nennt, auf die wir hinarbeiten. Wir brauchen einen Kompass, an dem wir uns orientieren, damit das Realpolitische immer vorläufig, immer unbefriedigend bleibt.
Ich lese diesen Vers als Tikkun olam, denn er spart nicht das Politische aus, aber er setzt unsere Welt mit dem G’ttlichen Reich in Beziehung. Paulus versucht hier im besten Sinne mit Worten die Welt zu reparieren, weil er uns daran erinnert, was doch eigentlich sein muss.
„Nichts als…“. Wenn das so einfach wäre… nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.
Wohin eine Welt ohne Liebe und ohne Demut vor Gott und damit auch vor Israel, dem Volk Gottes, führt, das erleben wir gerade sehr schmerzlich. „Was können wir tun?“, fragen wir, und lesen: Es ist Dir gesagt, Mensch.
„Nichts als…“ – das Einfache ist eben nicht einfach. Angesichts einer herausfordernden Welt sind es gerade nicht die einfachen Antworten, die tragen. Und doch spricht Gott: „nichts als“.
Gegen unsere Ohnmacht steht Gottes Wort. Und so versuche ich es - Schritt für Schritt. Nicht gleich alles, aber mal eins: Heute vielleicht Gottes Wort im Ohr, morgen Liebe üben und übermorgen die Demut. Oder zweimal Liebe und einmal Demut? Oder dreimal Gottes Wort? Schritt für Schritt, nicht einfach, aber auch nicht nichts.
Wir leben in einer Zeit voller sicherheitstechnischer Innovationen, trotzdem ereignete sich in meiner Heimat, in Israel, eine Katastrophe. In dieser Katastrophe haben Brüche und Schmerzen, das Gefühl von Verlust und Unsicherheit die Grundlagen unserer Existenz untergraben.
Nach dem anfänglichen Schock und den Gefühlen der Wut gegenüber den Menschen, die für die Situation verantwortlich sind, gegenüber Gott („Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ Psalm 22 1) kommt - genau wie im Trauerprozess - die Erkenntnis, dass dies die Realität ist, und wir von nun an den Weg finden müssen, damit umzugehen. Es gibt viele Initiativen aller Art, viel wird auf praktischer Ebene getan und gleichzeitig werden auch spirituelle Quellen um Unterstützung gebeten. Wir erinnern uns daran, dass es im Universum Kräfte gibt, die größer sind als wir, und bitten sie um Hilfe. Wir bitten um Heilung und Erlösung.
Der Wochenspruch ist die Grundlage für den Segensspruch der Heilung im Achtzehnbittengebet. Dieses Gebet wird traditionellerweise im Judentum dreimal am Tag gesprochen und jetzt hat es eine noch größere Bedeutung. Der Vers lobt Gott in Verbindung mit der Bitte um Heilung. Es wird aber nicht darüber verhandelt, dass Gott nur dann gelobt werde, wenn er geheilt hat. Vielmehr vertieft sich das Wissen um die eigene Kleinheit: Die Ehre sei Gott allein, egal was passiert. Übrigens endet das Achtzehnbittengebet mit: „Verleihe Frieden [...] uns und ganz Israel.“ In Reformgemeinden ergänzt man oft "uns und allen Menschen".
Möge es so sein!
Das Christentum versuchte sich lange daran, sich selbst eine Plakette zu verleihen, auf der groß ‚Nächstenliebe‘ steht. Doch keineswegs zeigt dies eine Eigenheit ‚christlicher‘ Traditionen an. Gerade dieser Vers verdeutlicht, dass sich die Angesprochenen auf ein Gebot beziehen, das ihnen durch die Tora gegeben ist. Auch der 1Joh wird nur im Kontext jüdischer Traditionen verständlich.
Hier wird das Heiligkeitsgesetz (Lev 19) ausgelegt und kommentiert. Die Verbindung von Gottesfurcht und Nächstenliebe werden darin betont. Feind*innenliebe und Fremdenliebe sind daran gekoppelt. Diese Weisung teilen Judentum und Christentum.
Soziales Verhalten und Gottesbeziehung gehören also zusammen. Wie wir uns vor Gott bedürftig zu zeigen trauen, so sollen wir andere Menschen in ihrer Bedürftigkeit nach Liebe und gemeinschaftlicher Fürsorge wahrnehmen. Es braucht viel aktive Gestaltung, um dies nicht nur zur Phrase verkommen zu lassen.
Dieser Vers aus den Psalmen stellt eine Welt dar, in der eine göttliche Fürsorge für menschliche Ernährung eintritt. Wenn die Welt bloß so wäre…
Ja, die Augen aller Menschen warten hungrig auf eine göttliche Intervention, die es nicht gibt und nicht geben wird. Angesichts jener Realität stellt sich die Frage: wie müssen wir reagieren? Wie müssen wir den Text verstehen?
Die Aufgabe fällt auf uns, uns um unsere Mitmenschen zu kümmern. Denn es ist sicherlich nicht im Sinne des Textes, dass wir tatenlos hinschauen und lediglich auf eine vermeintliche göttliche Handlung verweisen. Es gibt auf unserem Planeten genug für alle; trotzdem hungern Unzählige. Dass eine gerechte, rechtzeitige Verteilung von Nahrung fehlt, ist ein menschliches Versagen und daher kann nur menschliches Handeln die Ursachen beheben, die dazu geführt haben.
„… dem Tode die Macht genommen“? Wirklich? Die täglichen Nachrichten erschüttern uns mit ganz anderen Bildern: Kriege, Erdbeben, Überschwemmungen, Hurricanes, Hungerkatastrophen, Pandemien. Will uns der Wochenspruch auf ein Jenseits vertrösten?
Ich höre da eher heraus: Lasst Euer Leben nicht vom Tod bestimmen - es gibt ein Leben vor dem Tod! Lebt nicht wie das Kaninchen vor der Schlange, sondern tut was gegen Krieg, Zerstörung der Umwelt, Armut und Fluchtursachen. Versöhnt Euch mit Euren Mitmenschen, ja auch mit Euren Feinden. Und lebt in Einklang mit der Schöpfung!
„Juden wie Christen haben eine gemeinsame Aufgabe in der Verheißung des Bundes, die Welt unter der Herrschaft des Allmächtigen zu verbessern“, erklärten orthodoxe Rabbiner 2015.
Am Sonntagabend beginnt Jom Kippur. Versöhnung mit Gott, aber nicht ohne vorherige Versöhnung mit den Mitmenschen. Eigentlich brauchen wir dafür nicht nur einen Tag, sondern ein ganzes Leben.
Es gibt doch wirklich genug Gründe, sich Sorgen zu machen: Der Klimawandel, die Wirtschaftsentwicklung, die machtpolitischen Rangeleien auf unserer Erde. Da wirkt der Wochenspruch ein wenig schräg. Die Menschen, die ihn zuerst gelesen haben, hatten aber auch Gründe, sich zu sorgen: Als Zugehörige zu einer neuen Religionsgemeinschaft mussten sie mit allerlei Diskriminierungen im Alltag kämpfen, denn plötzlich waren sie anders. Offenbar haben diese Worte ihnen weitergeholfen, sonst hätten sie den 1. Petrusbrief vornehm entsorgt. Ich möchte ihnen zuhören. Unsere Übersetzungen suggerieren etwas, das es im Original nicht gibt: Menschen sorgen sich, und Gott sorgt für sie. Letzteres ist anders formuliert: „Er kümmert sich / es liegt ihm an euch“. Die einen sorgen sich, der andere kümmert sich. Das zu akzeptieren ist nicht leicht – man müsste abgeben können, eine Last abwerfen, wie es wörtlich heißt, weil man darauf vertraut, dass es einen großen Kümmerer gibt. Und was, wenn der sich nicht kümmert? Der Wochenspruch ist im Original kein eigenständiger Satz. Er ist abhängig vom vorangehenden Vers: „Demütigt euch unter die kräftige Hand Gottes“ – zuerst soll ich meine Sorgen auf ihn werfen, dann aber auch darauf vertrauen, dass er es auch mich zu einem ausgesprochen erfreulichen Ziel führen wird: „damit er euch erhöhe“. Meine Sorgen bin ich deswegen nicht los – aber mich begleitet doch noch eine andere Stimme durch die Woche.
Nach der jüdischen Tradition (Babylonischer Talmud, Berachot 10a) habe David diesen Psalmvers gesungen, als er sich als Säugling an den Brüsten seiner Mutter nährte.
Mein erster Impuls ist zu sagen:
Aber die Wohltaten, die er in diesem Moment empfing, rührten doch unmittelbar von seiner Mutter her!
Müsste der erste Lobpreis nicht ihr gelten, anstatt die mit dem Körper einer Frau verbundene Leistung gleich wieder zu spiritualisieren? Aber das ist ja gerade die Herausforderung für Menschen, die mit Gott leben: In allem, auch dem Offensichtlichen, immer noch eine andere Ebene der Wirklichkeit zu entdecken. Das verlangt dieser Vers uns ab: Erst einmal Gott zu segnen, d.h. in eine Beziehung zu dieser Wirklichkeit zu treten, die nicht zu begreifen ist. Und dann in unseren Alltag zurückzuspringen und all die kleinen und großen Wohltaten wahrzunehmen, die uns physisch und psychisch am Leben erhalten. Und wie schön eigentlich, dass diese Auslegungstradition hier in den Brüsten einer Frau die Wohltaten Gottes erkennt und dabei auch die Mutter Davids sichtbar werden lässt.
Wie kann gutes Handeln religiös begründet werden? Etwa, indem es die Handelnden in Beziehung zum Göttlichen setzt. Im Christentum hören wir von Christus, der sich mit dem Geringsten identifiziert. Im Judentum gibt es den Gedanken des Tikkun Olam, der aus dem rabbinischen Judentum stammt und in der Kabbala aufgegriffen wird: Die Gefäße mit Licht sind während der Schöpfung zerbrochen, die Welt ist unvollkommen. Es geht nun darum, die Welt zu reparieren und sie zu heilen.
Wer auf biblische Texte hört, nimmt eine Haltung ein, die die Besserung der Welt in der Beziehung zu und in der Hoffnung auf Gott sucht. Mt 25,40 ist zur Inspiration vieler sozialer und politischer Bemühungen geworden und der Gedanke des Tikkun Olam ist Motivation für den steten Einsatz für eine bessere Welt.
Der jüdische Kalender schreibt den Monat Elul. Dies ist der letzte Monat vor den Hohen Feiertagen Rosh Hashana (Neujahr), Jom Kippur (Versöhnungstag) und Sukkot (Laubhüttenfest). Im Elul ist es üblich, sich spirituell auf die Feiertage und die Begegnung mit G'tt vorzubereiten und besondere Gebete, die Slichot zu sagen. Der Prophet Jesajah spricht vom geknickten Rohr und vom glimmenden Docht. Gemeint sind Menschen in unserer Mitte, die in schwierigen Lebenssituationen sind: bedrückt von Armut, Krankheit oder Hoffnungslosigkeit. Gerade in dieser Zeit der Konfrontation mit sich und G'tt stehen diese Menschen besonders ehrlich vor ihrem Schöpfer. Nicht der Starke und Hochmütige findet seinen Weg zur tiefen Versöhnung mit sich und G'tt, denn er ist satt. Der Suchende und mit seinem Schicksal Ringende, das geknickte Rohr und der glimmenden Docht, sie haben die Möglichkeit, ihn zu finden - zur Stärkung.
Demut „hat“ man nicht einfach, sondern Demut braucht Mühe und Anstrengung
– sagt der 1. Petrusbrief:
Denn das Wort bekleiden/anziehen (ἐγκομβοόομαι) bezieht sich auf einen Arbeitsschurz, meist von Sklaven getragen. Bekleidet euch mit Demut, d.h: Krempelt die Ärmel hoch und legt euch eine Haltung an, die sich an Schutzlosen, Erniedrigten und Geschwächten orientiert.
Ein Mensch, mit Demut bekleidet, weiß,
dass Demut (Aniwut) nichts mit Selbsterniedrigung (Schiflut) zu tun hat.
Ein Mensch, mit Demut bekleidet, hat Courage und ist solidarisch;
sieht ein, dass er nicht das Maß aller Dinge ist und erkennt Gottes Größe an.
Das wohl meint Rabbi Jochanan, wenn er sagt: Wo immer du Gottes Größe findest, da findest du auch seine Demut.
Eine Beziehung in Gegenseitigkeit, Exklusivität und Glück. Und es ist klar, dass sie sich nicht einfach so ergeben hat als eine „Liebe auf den ersten Blick“. Sie ist das Ergebnis von bewussten Entscheidungen, und zwar haben sich beide Seiten füreinander entschieden. Darauf beruhen das Glück und das Gelingen dieser Beziehung.
Aber Beziehungen verlaufen ja nicht immer gleichzeitig oder werden als unterschiedlich stark erfahren. Dann gilt es darauf zu vertrauen, dass die Entscheidung füreinander dennoch richtig war und die Zeit der spürbaren Nähe wiederkehrt.
Und um wieviel mühsamer ist es, am Gelingen kollektiver Beziehungen zu arbeiten! Schade, dass in der vorliegenden Übersetzung der Name des einen Beziehungspartners ersetzt wird durch Bilder von Männlichkeit und Dominanz. Die Pluralität der Menschen scheint auf in den zwei verschiedenen hebräischen Begriffen für „Volk“.
Der Wochenspruch klingt wie die biblische Version von „check your privilege!“.
Was ist uns gegeben? Was wird man bei uns suchen? Wozu sind wir berufen in der Nachfolge Jesu und gemeinsam mit Gottes Volk Israel?
Die christliche Geschichte bietet viele konkrete Anknüpfungspunkte, um kritisch zu hinterfragen, ob wir mit dem uns Anvertrauten und mit denen, die uns anvertraut wurden, angemessen umgegangen sind. Nicht immer war das der Fall. Aus vielem können wir lernen. Müssen wir lernen.
Dabei wurde uns so viel mitgegeben: Check your privilege – das Privileg, durch Jesus zum Gott Israels zu gehören, das Privileg, an den reichen Traditionen der Hebräischen Bibel Anteil zu haben und auf ihr aufbauend weitere Traditionen zu prägen, das Privileg, im Nebeneinander der Traditionen Gott zu loben und die Welt in Gottes Sinne zu gestalten. Check your privilege – nutzen wir, wonach man bei uns suchen kann!
Es gibt verschiedene Arten des Wachstums, verschiedene Wege, wie wir zu dem werden können, was wir sind, je nachdem, woher wir kommen und von welchem Umfeld wir genährt werden. Einige wachsen in der Finsternis, andere im Licht, oder besser: es gibt Früchte der Finsternis und Früchte des Lichts. Was bedeutet es, ein Kind des Lichts zu sein, was bedeutet es, sich wie eines zu fühlen, sich wie eines zu verhalten? Wer sind die Erleuchteten? Sind wir die Kinder der Erleuchtung, der Aufklärung, wir, in Europa, in Deutschland? Erleuchtet sind die, die Licht geben. Was bedeutet es, Licht zu geben, zu leuchten? Wir geben die meiste Energie aus und strahlen die größte Helligkeit auf dem Planeten aus. Aber was ist Licht? Licht ist das Erste, was durch Gottes Wort erschaffen wurde, das Erste, von dem Gott sagte, dass es sein soll, das Erste, dessen Sein aus Wunsch entsteht - "es werde". Licht ist das Gewünschte - Licht ist das Gute. Als Kind des Lichts zu handeln bedeutet, nicht Energie, sondern Gerechtigkeit zu spenden - vor allem für diejenigen, die in den von uns produzierten Schatten wachsen.
„Welch ein Versprechen, was für eine Zusage. Nicht mehr Gast zu sein, sondern als „Gottes Hausgenosse“ dazuzugehören!
Wer sind die Personen, die hier in Ephesus im 1. Jahrhundert angesprochen werden? Es sind die neu hinzugekommenen Messiasgläubigen aus Völkern. Sie haben jetzt Anteil an „Gottes Hausgenossenschaft“, die zuvor dem jüdischen Volk vorbehalten war.
Die Jesus-Messias-Gläubigen aus den Völkern – später nannten sie sich Christ*innen - vergaßen oftmals die Herkunft und übernahmen die Herrschaft der Deutung und sprachen sie Juden ab.
Es ist hilfreich theologische Sätze – insbesondere die Wochensprüche – auf verschiedene Weise zu hören: als Aussagesätze, als Fragen und als Sätze der Hoffnung.“
„Und nun spricht der Herr“ – ein Anfang, den man leicht überliest, denn dann folgen ja so herzerwärmende Worte: „der dich geschaffen hat, Jakob und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“
„Und nun“ aber verweist zurück auf das vorher Berichtete. Gott hat gestraft und vernichtet. Diejenigen, die ins Exil fliehen konnten, waren die Glücklichen. Jesajas Botschaft von der Zuwendung Gottes, von seiner Liebe, ist keine Schönwettertheologie, sondern nur eine Seite Gottes.
Im jüdischen Kalender haben wir gerade die „7 Wochen der Tröstung“. Vom Tag der Erinnerung an die Tempelzerstörung bis zum jüdischen Neujahrsfest lesen wir jede Woche Texte Jesajas. Gott bekräftigt seine Zuwendung zu Israel, zum jüdischen Volk. Juden aber, wie alle Menschen, sind von Gott in die Verantwortung gerufen. „Du bist mein“.
Die heiligen Schriften Israels bezeugen genau das: Gott ist gnädig und barmherzig. Er geht großzügig mit seiner Gnade um. Und deshalb können Rettung und Glaube nur Gottes Gaben sein. Das ist eine Voraussetzung, auf der jüdische und christliche Tradition gleichermaßen aufbauen. Manche meinen trotzdem: das Judentum setzt bei der Rettung auf die eigenen Werke. Ich frage mich: Macht diese Logik nicht den Glauben an den Christus Jesus zur Eigenleistung? Der Brief an die Gemeinde in Ephesus hält den Christusgläubigen aus Jüdinnen und Heiden eine fundamental andere Wahrheit vor Augen: Das alles ist eine Gabe Gottes. Es ist Gnade, dass ihr gerettet seid durch den Glauben, es kommt nicht aus euch. Gott entscheidet selbst, wem und wie er seine Gnade erweist. So hat er es immer schon gehalten. Da bleibt er sich treu.
Welche Bedeutung hat die Tora für Christen? Im Galaterbrief stellt Paulus es so dar, als sei die Tora mit den Werken des Gesetzes ein scharfer Gegensatz zur christlichen Freiheit. Das Gesetz erscheint als Gefängnis oder Zuchtmeister“ auf Christus hin“ (Gal 3,23f.). Ist die Tora nun also für Christen „erledigt“?
Im Gegenteil. Am Schluss des Galaterbriefes spricht Paulus ganz positiv vom Gesetz: „Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ Inhaltlich ist die „Tora des Messias“ durch das Gebot der Nächstenliebe bestimmt. Wenn sich einer der Last des anderen annimmt, findet sie ihre Erfüllung. Mit diesem Gedanken steht Paulus in guter Tradition. Auch nach anderen Schriften des antiken Judentums gilt das Gebot der Gottes- und der Nächstenliebe als Zusammenfassung der Tora.
„Gesetz Christi“ – das bedeutet für Paulus auch, dass uns ein Vorbild und Beispiel der Nächstenliebe gegeben ist: Jesu Hingabe für die Seinen. Jesus darin nachzuahmen und ihm nachzufolgen heißt, die Tora so zu erfüllen, wie er sie erfüllt hat.
Der Wochenspruch soll durch die Woche begleiten, schöne Idee! Was aber, wenn ich die Worte nicht so ganz begreifen kann? Um weiterzudenken hilft mir ein Blick in den Bibeltext. Denn auch der Wochenspruch kommt ja nicht von irgendwoher, sondern ist Teil eines Textes und damit auch an einen bestimmten Kontext gebunden.
Der Kontext unseres Verses ist die Geschichte der Begegnung Jesu mit dem Zöllner Zachäus. Zachäus - das ist die griechische Version des hebräischen Namens זכי “Sakkai”. Bei dem Namen fällt mir auch Rabbi Jochanan ben Sakkai ein, ein berühmter jüdischer Gelehrter des 1. Jahrhunderts.
Dieser Name lässt mich auch an das hebräische Verb זכר „sachar“ (=erinnern) denken. Hier passt der Ausspruch: der Name ist Programm. Der hebräische Name erinnert an den jüdischen Kontext, in dem das Neue Testament entstanden ist. Und das zeigt uns ganz deutlich: Neues Testament ohne Judentum? Geht gar nicht. Das sollen wir nicht verlieren!
Aufatmen. Die Mühsal unterbrechen. Die Überlastung ablegen. Gegen Mühe ist nichts zu sagen: sich Mühe geben, sich Mühe machen. Aber nicht ununterbrochen. Sechs Tage sollst du arbeiten, dich abmühen. Am siebten Tag ist Schabbat: Ruhe, Aufatmen.
Jesus lädt uns Menschen aus den Völkern ein, mitzutun an der Geschichte Israels – eine Befreiungsgeschichte für Abgemühte und Überlastete. Nicht länger fremd und fern zu bleiben den verheißungsvollen Bundesschlüssen; religiös abgemüht, aber ohne Hoffnung; sondern Mitbürger Israels zu werden, Hausgenossen seines Gottes.
Nehmt auf euch das Joch des Himmelreichs: erkennt und bekennt, dass der Ewige Israels Gott ist und dass er einzig ist. Fragt nach den Wegen der Vorzeit: Welcher ist der zum Guten? Geht darauf. Dann findet ihr Ruhe für eure Seelen: Aufatmen.
Das geht mir als Pfarrer runter wie Öl: wer mich hört, hört den Herrn Jesus persönlich. Mehr Autorität geht nicht. Bevor ich völlig abhebe, eine entscheidende Frage: zu wem sagt Jesus dies eigentlich? Er richtet sich an 72 Jünger*innen: ohne Geld, Tasche und Schuhe sollen sie sich auf den Weg machen in die Städte und Dörfer und das kommende Reich Gottes verkünden. O.K., dann bin ich wohl nicht gemeint… Und: er richtet sich an Jüd*innen! Da bekommt der Wochenspruch eine ganz andere Perspektive: wer Jüd*innen zuhört, der hört den Juden Jesus. Vielleicht haben wir Christ*innen 2000 Jahre lang nicht oder zu wenig zugehört, ignoriert, was Jüd*innen zu sagen haben, wie sie die Bibel auslegen.
(Zu-)hören - so fängt lernen an, so fängt ein Miteinander an, so kommt der Friede ins Haus. „Höre Israel“ – für uns Christ*innen heißt das: höre auf Israel!
Am Sonntag geht der Kirchentag in Nürnberg mit dem Schlussgottesdienst zu Ende: Predigttext ist Pred 3: Alles hat seine Zeit… Hören hat auch seine Zeit!
Ein Trailer: ist kurz, fasst das Wichtigste zusammen und macht Lust auf mehr.
Trinitarische Formeln (wie zu Beginn des Gottesdienstes, vor der Predigt oder nach dem Psalm) sind ein Trailer der ganzen Geschichte Gottes, wie die Bibel sie erzählt.
Dort ist zu entdecken, wie Gott in Altem und Neuem Testament mit den Menschen in Beziehung getreten ist. Dort zeigt sich, wie verschiedenartig, kreativ und unbegreiflich Gott zu erfahren ist - und dennoch durch die Zeiten hindurch immer derselbe bleibt.
Trinitatis feiert die konkrete Geschichte Gottes mit den Menschen, die davon handelt, wie Himmel und Erde geschaffen werden, wie Gott Menschen liebt und tröstet, wie Gott Inspiration und Kraftquelle ist.
Der Wochenspruch ist ein Trailer des christlichen Glaubens, der uns auf die Spur („trail“) der Geschichte des Gottes Israels bringt.
Ein Trailer für eine Story, in der wir selber mitspielen, in die wir unsere eigene Geschichte eintragen und die – Lust auf mehr macht!
Pfingsten - Geburtstag der Kirche.
So heißt es landläufig und das Bild lädt zu schönen Gottesdienstformen ein und erklärt niederschwellig, was wir an Pfingsten feiern. Das Bild trägt. Besonders dann, wenn wir im Blick behalten, dass jedes Geburtstagskind Vorfahren hat, von reichen Traditionen geprägt ist, dass manch ein Geburtstagskind Geschwister hat oder haben wird.
Das Bild trägt nicht, wenn wir bei dem Geburtstagskind Kirche bereits an die ausgewachsene Institution denken und nicht eher an einen hilflosen Kirch-Säugling, von dem niemand recht weiß, wie und wer er einmal sein wird.
Der Wochenspruch zeigt die reiche Tradition des Geburtstagskindes: Gottes Geistkraft ist immer dann am Werk, wenn etwas entscheidendes passiert - wie z.B. in der Schöpfung – und verbindet alles, was vorsichtig neu entsteht mit dem, was schon lange war.
Auf diese Weise weht Gottes Geistkraft an Pfingsten nicht zum ersten Mal und sicher auch nicht zum letzten Mal!
Gerade erst ist Jesus auf einem Esel reitend nach Jerusalem gezogen, der Aufruhr in der Stadt war groß deshalb. Jetzt erklärt er der staunenden Menge scheibchenweise und hier dann eben versweise, dass er nicht mehr lange leben wird, dass sein Tod kurz bevorsteht. Über das Wie des Todes ist er sich offensichtlich schnell im Klaren: er wird am Kreuz enden, so machen das die Römer halt. Dieses Ende am Kreuz ist jedoch kein Ende: Jesus sagt, das ist meine Erhöhung. Hoch oben am Kreuz wird er in die Macht und Herrlichkeit eingesetzt. So etwas kann ich gar nicht denken. Das ist doch paradox! Und damit eben etwas, was der Meinung widerspricht und daher unerwartet und unglaublich ist. Der Tod am Kreuz als Erhöhung widerspricht wirklich allem, was ich mit klarem Verstand denken kann und dass wir Christen das dann auch noch anziehend finden, kann nur mit der Kraft des Heiligen Geistes erklärt werden. So ist es halt. Amen.
Dieser Vers aus dem Psalm 66,20 ist eine zeitlose Erinnerung daran, dass Gott uns nicht nur einfach nur hört, sondern auch erhört. Manchmal scheint es fast unmöglich das Vertrauen aufrechtzuerhalten, dass unsere Gebete gehört werden. Doch wenn wir uns an diesen Vers erinnern, können wir uns sicher sein, dass Gott uns nicht im Stich lässt.
Es gibt nichts Größeres als das Gefühl, dass unsere Gebete erhört werden und dass uns Güte widerfährt. Wenn wir uns darauf verlassen können, dass Gott unsere Gebete erhört und uns hilft, können wir für uns selbst Zuversicht und Frieden finden.
Aber ist das genug?
In der heutigen Welt, die oft von Egoismus und Spaltung geprägt ist, sind wir aufgerufen, die Güte und das Vertrauen Gottes zu imitieren und anderen gegenüber großzügig und hilfsbereit zu sein.
Indem wir anderen helfen und sie unterstützen, können wir einen positiven Einfluss auf ihre Leben haben und dazu beitragen, dass sie das Vertrauen und die Zuversicht finden, die sie brauchen, um ihre Herausforderungen zu meistern.
Dieser Vers ist eine Erinnerung daran, dass Gott uns nicht nur erhört, sondern uns auch dazu aufruft, die göttliche Güte und Mitgefühl zu imitieren und andere zu erhören, ihnen gegenüber barmherzig und gütig zu sein.
Indem wir diese Werte in unserem Leben praktizieren, können wir dazu beitragen, Hoffnung, Zuversicht und Güte in diese Welt zu pflanzen und den Garten Eden näher zu bringen.
Gott zu loben und zu preisen, wird in der Bibel oft erwähnt, insbesondere im Buch der Psalmen. Aber dieser Vers, der Parallelen im Magnifikat der Maria (Lk 1,46-55) aufweist, spricht von einem neuen Lobpreis für die Wunder Gottes. Es gibt immer wieder neue Wunder, und deshalb sollte sich der Lobpreis stets weiterentwickeln. Dieser Vers fordert uns auf, unsere Anbetung jedes Mal zu erneuern und uns an die großen Wundertaten zu erinnern, die Gott schenkt. Anbetungslieder sind eine der Möglichkeiten, wie wir mit Gott sprechen können, eine Praxis, die im täglichen Leben von Gläubigen eine große Rolle spielt.
Aber Lieder der Anbetung sind sehr von der wahren Bedeutung abhängig, in dem Sinne, dass es nicht möglich ist, jedes Mal genau das gleiche Lied als Dank zu singen. Es geht nicht darum, den Glauben zu ändern - vielmehr weist "neu" im „neuen Lied“ auf etwas Frisches und Dynamisches im Gottesdienst und in den Liedern hin, die wir Gott singen. Miriam benutzte kein ägyptisches Lied. Debora benutzte nicht das Lied von Miriam. Und auch wir müssen ein neues Lied verwenden.
Jeder Morgen ist ein neues Aufleben, eine neue Schöpfung. Die Kräfte sind frischer, der Blick geht weiter, die Nerven sind lockerer.
Wunderbar beschreibt Ps 104,30 diese Lebenskraft:
Du sendest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen, und du machst neu das Antlitz der Erde.
Zu dieser Lebenskraft können wir Nicht-Juden durch Jesus kommen, zum Gott Israels. Über seine Güte und Barmherzigkeit heißt es in Klagelieder 3,23 zuversichtlich:
sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.
Durch Jesus, durch seinen Gott Israels werden wir neu und können jubeln. Nicht, weil „alles gut wird“ – das wird es vielleicht nicht. Sondern weil diese Lebenskraft uns aufrichtet und belebt und beflügelt.
Jesus spricht mal wieder in Bildern, das hat er oft gemacht: ich bin das Brot, ich bin der Weinstock oder eben ich bin der gute Hirte! Diese berühmten „Ich-Bin-Worte“ Jesu erinnern immer an Gottes Selbstvorstellung beim brennenden und doch nicht verbrennenden Dornbusch in der Wüste: „Ich bin, der ich bin!“, hört Mose da aus Gottes Mund!
Ich bin der gute Hirte! Oder auch der schöne Hirte! So kann man es nämlich auch übersetzten. Es geht hier also sowohl um einen ethischen als auch ästhetischen Maßstab. Damit steht Jesus nicht allein: auch Saul und David waren Hirten, gute und schöne. Auch Saul und David hüteten ihre Schafe.
Die ganze Rede vom guten Hirten lässt sich überhaupt nur verstehen, wenn wir das Alte Testament kennen. Auch der Prophet Jeremia spricht von einem Hirten, der kommen wird und die zerstreute Herde wieder sammeln will. In dieser Tradition spricht Jesus: Ich bin der gute Hirte!
Patchworkfamilien sind nicht unbedingt eine Erfindung der Gegenwart. Der 1. Petrusbrief scheint sich das Christsein ganz ähnlich vorzustellen: Zusätzlich zu ihrer leiblichen Familie bekommen Christenmenschen in der Taufe einen neuen Vater – vielleicht darf man Gott ausnahmsweise mal „Bonuspapa“ nennen – und neue Geschwister („Geschwisterschaft“ ist in diesem Brief die Bezeichnung für die Gemeinde [2,17; 5,9]). Sie bekommen also eine neue Gegenwart und noch dazu auch eine Zukunft. „Lebendige Hoffnung“ nennt Petrus das im Gegensatz zu einer Hoffnung, die ins Leere geht und darum tot ist. Diese Hoffnung stützt sich auf die Erfahrung, dass Gott am Ostermorgen an Jesus gezeigt hat, wohin seine Wege führen: aus dem Tod ins Leben. Eine Bonusfamilie, eine lebendige Hoffnung – und all das aus „liebevoller Freundlichkeit“ (so kann man das hebräische Wort, das sich hinter dem Griechischen, das Luther mit Barmherzigkeit übersetzt, fein wiedergeben). Mit der Erinnerung daran kann man gut durch die neue Woche gehen.
Wer Schlüssel hat, hat Macht: Schlüsselmacht. Machtfragen des Lebens können zu Schlüsselfragen werden.Die Antwort entscheidet über Bestehen oder Nichtbestehen.
Gott mischt sich in diese Schlüsselfragen ein. Gott überlässt diese weder dem Zufall noch den Menschen. Schon einmal hat Gott sich eingemischt, im Tempel in Jerusalem. Jesaja berichtet davon, wie der Schlüssel Schebna genommen und Eljakim gegeben wurde (Jes 22). Denn was diese Schlüssel schließen, bleibt geschlossen und was sie öffnen, bleibt geöffnet. Das gilt auch für die Tore des Lebens und des Todes.
Wer hat die Macht, die Tore des Todeshauses zu öffnen hinein ins Lebenshaus? Die jüdische wie die christliche Tradition sagt: Gott allein. Die christliche Überlieferung verbindet dies mit dem Todes- und Lebensweg Jesu. Dabei wurzelt sie in einer Geschichte vom Aufbruch aus dem Haus des Todes, der Unfreiheit: Aufbruch aus der Knechtschaft für Israel. Ostern zu erzählen und zu feiern heißt auch: dankbar das Freikommen eines Volkes aus diesem Gefängnis des Todes zu erinnern.
Oft wird der Anfang von Vers 14 erst gar nicht mitzitiert: (14) Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, (15) damit alle, die an ihn glauben das ewige Leben haben.“ Warum kenne ich diese Geschichte von Moses und einer erhöhten Schlange nicht, und wie soll das mit der Erhöhung des Menschensohns in Verbindung stehen?
Tatsächlich steht im 4. Buch Mose 21,6-9, dass Gott die Israeliten bestraft, weil sie sich über die Umwege und das schlechte Essen in der Wüste beklagen, indem er giftige Schlangen schickt, an deren Bissen viele sterben. Verzweifelt bitten die Bestraften um Hilfe und Vergebung, woraufhin Moses von Gott angewiesen wird, eine eherne (kupferne) Schlange zu machen, und diese an einer Stange hoch aufzurichten: „Wer gebissen ist und sieht sie an, soll leben“ (Num 21,8).
Das klingt nach klassischem Götzendienst.
Die rabbinischen Ausleger stellen dann auch sofort klar, dass es keinesfalls die erhöhte eherne Schlange war, die Heilung und Leben schenkt. Nur diejenigen, betonen sie, die ihre Herzen ganz dem Willen Gottes unterstellten erfuhren Heilung während alle diejenigen, die nur die Schlange anschauten, aber dabei nicht an Gott dachten, starben.
Und was bedeutet das jetzt für den christlichen Glauben an den erhöhten Menschensohn?
Die Herrschaftsverhältnisse dieser Welt sind nicht endgültig. Jesus stellt ihnen eine Ordnung entgegen, in der Herrschen und Dienen vertauscht werden. Das ist die große Provokation und das noch immer nicht eingelöste Versprechen der biblischen Texte. Wenn wir das in diesen Zeiten lesen, können wir daraus Hoffnung und Zuversicht schöpfen. Mutige Menschen, die sich nicht abfinden damit, dass die Mächtigen die Völker unterdrücken, stehen mir vor Augen. Die ihr Leben einsetzen, damit das Böse nicht den Sieg davonträgt. Das Bild vom „Lösegeld“ nimmt einen Begriff aus den biblischen Schriften Israels auf. Gott hat Israel aus Ägypten „erlöst“; mit Lösegeld konnte man sich von einer Schuld, sogar von der Todesstrafe, freikaufen. Auch für den Freikauf von Sklaven wurde der Begriff verwendet. Jesus, der Menschensohn gibt sogar sein eigenes Leben, um die Menschen aus all dem freizukaufen, worin sie versklavt sind. Sein Einsatz für andere kennt buchstäblich keine Grenzen. Der Glaube an den Gott Israels, den die biblischen Schriften bezeugen, wird damit radikal ernst genommen. Und dieser Glaube vertraut darauf, dass das Leben stärker ist als der Tod.
An dem biblischen Vers über das Weizenkorn kann man wunderbar sehen, dass die Evangelien ebenso wie viele Texte der hebräischen Bibel aus eher ländlichen Kontexten stammen. Ich bin in einer großen Stadt aufgewachsen und habe bis heute Mühe, alle Getreidesorten präzise zu unterscheiden. Nie werde ich vergessen, als ich bewusst das erste Weizenkorn in die Hände nahm: Ein solches Korn, das nicht in die Erde eingesät wird oder zufällig da hinein fällt, kann ganz leicht zertreten werden und ist zu nichts mehr nutze. Erst, wenn aus kleinem Korn meterhoch der Weizen wächst „mit Gewalt“ und sich darüber „jung und alt“ freuen (Paul Gerhardt), wird deutlich, worin die eigentliche Bestimmung des Korns liegt: Absterben, damit Weizen wird, schon in biblischen Zeiten ein Zeichen für den Reichtum des Landes Israel. Aus Tod wird neues Leben. Auch das wollen wir kaum glauben – dabei können wir es bei nahezu jedem Spaziergang sehen, nicht nur auf dem Land, sondern auch in der Stadt. Auch da steht irgendwo Weizen, Frucht aus vielen Körnern.
Im wörtlichen Verständnis ergibt dieses Zitat Sinn: Wer einen Pflug zieht, der muss nach vorne schauen, damit gerade Linien gelaufen werden. Aber ist es tatsächlich nur so gemeint? Als Rabbiner schaue ich gerne in die klassischen rabbinischen Auslegungen. Beim Neuen Testament gibt es diese jedoch nicht. Aber es gibt eine Stelle in der Hebräischen Bibel, die zum Zitat von Lukas passen könnte. So heißt es in Micha 4,1: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk mehr gegen das andere das Schwert erheben und sie werden nicht mehr lernen Krieg zu führen.“ Stellt man beide Zitate gegenüber, dass also der Pflug mal ein Schwert, ein Kriegsgerät, gewesen ist, so ergibt sich das Bild eines Menschen, der ursprünglich mal ein Krieger gewesen ist, der anderen Menschen Leid zugefügt hat, etwa um die Grenzen des eigenen Landes unrechtmäßig zu erweitern, nun aber von seinen schlechten Taten umgekehrt und ein friedlicher Bauer geworden ist. Dieser Mensch soll nicht zurückschauen, er soll nicht wehmütig auf vergangene Zeiten blicken, denn das könnte dazu führen, dass er einen „Rückfall“ erleidet – und als Konsequenz keinen Anteil am „Reich Gottes“ hat, das wäre, nach meinem Verständnis sowohl das Leben auf dieser Welt als auch das Leben in der kommenden Welt, die den Menschen nach dem Tod erwartet.
Fällt Ihnen auf den ersten Blick auch „Christus“ ins Auge? Auf mich wirkt es wie das Zentrum dieses Verses in der Lutherübersetzung. Und tatsächlich, die exakte Mitte der 19 Worte Lutherübersetzung, das 10. Wort heißt: Christus. Christus scheint wie die Spitze einer Pyramide, der Mittelpunkt dieses Verses zu sein und die Verbindung zwischen Gott und den Sünder:innen herzustellen.
Im griechischen Urtext sieht das aber anders aus. Hier hat der Vers 18 Worte und mittig steht „Gott, dass“. Wort für Wort lässt sich der Satz ungefähr so wiedergeben: Es schenkt aber so seine:ihre Liebe für uns Gott, dass, als wir Sünder:innen waren, Christus für uns starb.
Nun, auf den zweiten Blick, sind die Verhältnisse ganz anders. Gott ist der Kern des Satzes, von diesem Mittelpunkt aus ist der Vers aufgebaut. Gott ist die Verbindung zwischen der Liebe und den Sünder*innen und außen wird der Vers durch die Verben gerahmt.
Diese Anordnung verneint nicht die Aussage, dass Gottes Geschenk der Liebe für Paulus durch den Tod Christi geschieht. Im Urtext wird aber deutlich: Gott steht in der Mitte und ist das Subjekt – nicht nur grammatikalisch.
Ich bin diese Woche mit dem Teufel spazieren gegangen und habe mit ihm gehadert. Teufel wird von dem griechischen diabolos abgeleitet. Eine Größe, die etwas auseinanderbringt, sich dazwischendrängt, etwas ausgrenzt – das Gegenstück zu verbinden, zu unteilbar, zu solidarisieren. Mit dem Satan, Teufel und Dämon bekommt das Böse biblisch einen Platz und einen Namen. Die Figur ist ein biblisches Denkmodel zur Überwindung des Grabens zwischen dem Glauben und der Erfahrung: Wie lässt sich das Vertrauen in Gottes Gerechtigkeit und Güte mit der Erfahrung des Leidens und der Realität des Bösen verbinden?
Die Realität des Bösen ist uns gerade in dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine allgegenwärtig. Theologisch braucht es Mut nicht zu schweigen, sondern es zu benennen. Ihm eine Kraft entgegenzusetzen. Das macht der Vers aus dem ersten Johannesbrief: Der Messias, der Erwählte zerstört die Taten des Teufels. Das Böse, das Zerstörerische, das Trennende, der Hass hat nicht das letzte Wort. Ich schicke ein Stoßgebet zum Himmel.
Das was die Bibel in gerechter Sprache mit „kommendem Menschen“ übersetzt, wird oft mit „Menschensohn“ wiedergegeben. Das hat Anhalt an der griechischen Fassung. Aber die BiGs greift die schillernden alttestamentlichen Traditionen auf, die den Menschensohn, den ben adam, vielfältig zeichnen: Fast 100mal redet Gott Ezechiel mit ben adam an, im Danielbuch wird der Menschensohn zu Israel und den Rettern, die sich dem Feind entgegenstellen. Der Menschensohn repräsentiert also in Jesus sowohl ein besonderes Individuum als auch das Kollektiv, das Volk Israel. Nicht um dieses zu ersetzen, sondern als ein Teil dieses Volkes.
Jürgen Ebach schlägt in Anknüpfung an diese Facetten vor, dass der Menschensohn wie eine Art Kippbild ist. Blicken wir es von der Evangeliums-Seite an, ist es ein Hoheitstitel, der als Charakterzug seine Verbundenheit mit der Erfahrung und der Sehnsucht Israels hat. Blicken wir es von der universalistischen Seite an, ist es der Mensch, der und die ihre Bestimmung lebt – der kommende Mensch. Doch wie immer biblisch ist das Partikulare mit dem Universellen verschränkt, das Individuelle mit dem Gemeinschaftlichen, der Glaube mit dem Hören und Tun. Auch wenn wir nicht immer beides sehen, gehört es doch zusammen.
Verbitterung. Verschlossene Herzen. Davon erzählt der Hebräerbrief in Anlehnung an Psalm 95. „… wie zur Zeit der Verbitterung“ lautet der Abschluss des Psalmzitats. Es gibt Zeiten und Wege, die sind so lang und schwierig, dass sie einem die letzte Kraft rauben. Oder das Gottvertrauen. Bis zur Verbitterung. Das gehört zur Erfahrung Israels in der Wüste und auch zur Erfahrung der christlichen Gemeinde des Hebräerbriefs.
Aber heute nicht. Heute hört ihr seine Stimme. So ruft der Psalmbeter und mit ihm der Hebräerbrief. Heute ist nicht die Zeit der Verbitterung. Wo immer sie auch stocken, die Wege des Lebens, der Verständigung oder die Wege der Erneuerung. Heute ist die Zeit zu hören. Seine Stimme. Die noch heute Verbitterung aufbrechen kann. Und Kraft gibt, weiter zu gehen.
Was heißt es, um Barmherzigkeit zu bitten?
Rabbinerin Jasmin Andriani kommentiert den Wochenspruch und eine zentrale Eigenschaft Gottes:
Und weiter im Vers mit Daniel 9,18 heißt es: [...] „Denn nicht um unserer Gerechtigkeit willen bringen wir unser Flehen vor dich, sondern um deiner großen Barmherzigkeit willen.“
Obwohl wir G´tt als gerecht richtend bezeichnen, hoffen wir nun auf seine Ungerechtigkeit. Dieses Flehen aus dem Danielbuch wird als Gebet zu Jom Kippur zitiert und drückt aus, dass wir auf ein g´ttliches Urteil über unser Handeln und Wandeln auf dieser Erde hoffen, das uns übervorteilt. Wir bitten um Barmherzigkeit. Das Verhältnis zwischen Mensch und G´tt soll nicht auf der quasi mathematischen Formel der Zug-um-Zug-Leistung basieren, sprich für eine menschliche Tat folgt die angemessene Belohnung oder Bestrafung, sondern wir beten darum, dass G´tt gegen dieses quid pro quo Prinzip verstößt und sich unserer erbarmt. Rachem alejnu.
Auch im Islam ist <bdo dir="rtl" lang="ar"> رحمة</bdo> eine der zentralsten Eigenschaften Allahs, der auch ar-Raḥīm, der Allerbarmer, genannt wird.
Sowohl auf Arabisch als auch auf Hebräisch hängt das Wort für Barmherzigkeit mit dem Begriff der Gebärmutter, Rechem, zusammen. Wir hoffen darauf, dass wie eine Mutter ihr Kind immer liebt, auch wenn es nicht gehorcht, G´tt uns ebenfalls liebt.
Die Vorstellung, Gott sei jenseits der Welt, mag zu der Annahme führen, dass Gott völlig abwesend von der Welt ist, und dass wir zwischen Gott und Welt wählen müssen. Doch genau wie die Sonne ist Gott ein Licht jenseits der Welt, das in der Welt scheint. Gott ist in der Welt durch den Glanz seiner Herrlichkeit auf "dir". "Du" ist ein Aufruf an den Menschen in der Welt, in einem überweltlichen Licht zu leuchten. Wiederum mag es scheinen, dass unweltliches Licht in der Welt als reine Negation des Weltlichen, als asketische, entkörperlichte und entsozialisierte Spiritualität erscheint. Doch die Herrlichkeit Gottes im „Du“ muss den „Völkern“ einleuchten: zwischenmenschlichen Beziehungen nicht auslöschen, sondern aufklären. Der französisch-jüdische Philosoph Emmanuel Levinas lehrte, dass Gott „über uns erscheint“, wenn unsere materielle Beziehung zu Anderen nicht von Eigeninteresse, sondern von Nächstenliebe, und wenn unsere Politik nicht von Macht, sondern von Gerechtigkeit geleitet wird: "Gerechtigkeit als Staatsraison: das ist Religion".
Weltflucht hat einen schlechten Ruf, aber kann auch Keimzelle für Veränderung sein. Der Wochenspruchkommentar zum 3. Sonntag nach Epiphanias kommt von Studienrätin Dr. Franziska Grießer-Birnmeyer:
Die Familie kam von Norden. Die Freunde legten auf ihrer Reise von Norden nach Süden einen Zwischenstopp bei uns ein. Wir saßen zu Tisch. Wir haben Kerzen angezündet und Lieder gesungen, gegessen und getrunken. Wir haben die großen und kleinen Krisen ausgeblendet, so gut es uns möglich war.
Eskapismus hat einen schlechten Ruf: Die, die sich davonmachen, gelten als egozentrisch, verantwortungsscheu und schwach. Widerspruch kommt von Ernst Bloch, dem atheistischem Philosophen aus jüdischem Hause: Menschen, die Weltflucht begehen, können zwar aus der Warte einer technologisch-rationalen Gesellschaft als „unreif“ erscheinen, aber zugleich den gesellschaftlichen Wandel im Kleinen anstoßen. Alles, was die „Feuersäule der Utopie“ vor dem Verlöschen bewahrt, ist von Bedeutung - so notiert er es in „Das Prinzip Hoffnung“ (1954). Für ihn haben Fluchten aller Art emanzipatorisches Potenzial, und zwar als Keimzelle für Veränderung und Fortschritt auf dem Weg zu einer humaneren Gesellschaft. Das Reich Gottes ist für Bloch „die Identität des zu sich gekommenen Menschen mit seiner für ihn gelungenen Welt“.
Und so komme ich zu mir: Helene Fischer im Ohr, Schokofondue zum Frühstück und Konfetti im Haar. Bis ich kommen werde von Osten, Westen, Norden oder Süden, und zu Tisch sitzen werde im Reich Gottes.
Das Johannesevangelium hat kaum begonnen, da hält der Evangelist schon Rückschau: „Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen Gnade um Gnade“. Dieser Vers greift Joh 1,14 auf – den Wochenspruch für das Christfest. Das „voller Gnade und Wahrheit“ lässt Jesus als Vergegenwärtigungsgestalt Gottes erscheinen, der nach Ex 34,6 „von großer Gnade und Wahrheit“ ist. Wenn Sie gerne arabisch essen gehen, kennen Sie das: Der Tisch ist noch übervoll mit kleinen Tellern voller Köstlichkeiten, da kommt schon die Bedienung und tauscht leere gegen volle Teller aus. Genau so funktioniert der Wochenspruch: Ist die eine Gnade „abgefrühstückt“, kommt schon die nächste. Hinter dem griechischen Wort für Gnade (Charis), das an sich schon ein schönes Wort ist, weil es mit Freude (Chara) verwandt ist, verbirgt sich das hebr. „Chesed“, das man mit „liebevolle Freundlichkeit“ übersetzen kann. Das neue Jahr hat kaum begonnen, da werden wir schon eingeladen, Rückschau zu halten und uns der Portionen liebevoller Freundlichkeit, die uns bisher aufgetischt wurden, zu erinnern. Da war bestimmt einiges dabei, oder?
Können wir diese Zusage ohne die implizierte Negation hören?
Muss die Adoption der Kinder im Geiste immer auch die Enterbung der Kinder Israels im Fleische bedeuten?
Ist es möglich vom Geist zu sprechen, ohne das Fleisch zu verteufeln?
Hätte Paulus gewusst, dass seine konfrontative Rhetorik sich in systematischen Antijudaismus verhärtet, dann hätte er vielleicht eine weniger dualistische Sprache benutzt. Dann wäre uns möglicherweise auch die frauenfeindliche, verklemmte Sexualmoral der christlichen Auslegungstradition erspart geblieben. Denn seine Polemik gegen das Fleisch, das in Vers 7 kurzerhand mit „Feindschaft gegen Gott“ gleichgesetzt wird, wurde jahrhundertelang benutzt um die Unterwerfung von Frauen, Juden, und Sklaven zu begründen.
Dabei ist der Geist Gottes nur in der Schöpfung zu finden. In dieser vielfältigen, sterblichen, schönen, chaotischen und verletzlichen Welt. Es gilt, diese Welt zu heiligen, indem wir uns vom Geist Gottes (an)treiben lassen, und immer wieder neu darauf vertrauen, dass „Dein Wille getan werde, wie im Himmel so auf Erden.“
Psalm 31 beginnt mit den hebräischen Worten Lamnazeach, mismor leDavid, also „für den Dirigenten/Leiter, eine Melodie Davids“. Immer, wenn ein Psalm von David mit „Melodie Davids“ beginnt (im Gegensatz zu leDavid mismor, also „von David, eine Melodie“) wissen wir, dass sich David in einer schwierigen Situation an Gott wendet. Der Zusatz Lamnazeach macht deutlich, dass sich David voll und ganz in den Händen Gottes, der uns führt, uns „dirigiert“, befindet. König David ist in Gefahr, seine Feinde schmieden Pläne gegen ihn. Trotzdem ist er zuversichtlich und vertraut auf Gott, denn er weiß, dass Gott, der ihn vorher gerettet hat, ihn auch jetzt nicht in die Hände seiner Feinde geben wird. „Meine Zeit steht in deinen Händen“. Nach dem jüdischen Gelehrten Raschi ist es Gott, der unsere Zeiten lenkt und bestimmt, auch unser Ende. Mit Vers 16 sagt David, dass sein Schicksal in Gottes Händen liegt. Das ist nämlich eine andere Bedeutung des Hebräischen „Et“, also „Schicksal/Ereignis“. Der Vers geht aber weiter. David nimmt Gottes Dirigat an, aber er nimmt es nicht einfach hin. Er bittet Gott um Rettung: „Errette mich von der Hand meiner Feinde und von denen, die mich verfolgen”.
Von David lässt sich lernen: Wir können unser Schicksal getrost in Gottes Hände geben und doch unser Leben annehmen und für unsere Sache streiten.
Gott kommt und hilft, denn er sucht den Menschen. Diese Hoffnung verbindet christliche und jüdische Menschen.
Gott kommt in einem Kind zur Welt. Sein Name Jesus bedeutet Gott hilft. Darüber gibt es zwischen uns keine Einigkeit. Nur Christenmenschen sehen in ihm das Fleisch gewordene Gotteswort. Fast alle jüdischen Menschen finden das unannehmbar.
Doch diese christliche Hoffnung berührt sich mit jüdischen Traditionen, sagt Michael Wyschogrod. Die Christenheit erkennt die Herrlichkeit nämlich in einem Wort, das in einem Juden Fleisch ward. Das trifft sich für den Rabbiner und Religionsphilosophen mit der jüdischen Überzeugung, dass Gott in seinem jüdischen Volk zur Welt kommt. Das tat er vor Jesus und er tut es bis heute: Wo immer sich eine jüdische Gemeinschaft versammelt, ist Gott gegenwärtig und hilft.
Es ist mir peinlich, aber bei diesem Bibelvers muss ich einfach von der Peinlichkeit erzählen: Bevor ich 1983 in Jerusalem zu studieren begann, prägte mein Bild vom Judentum während der Lebzeiten Jesu ein böses altes Klischee. Ich stellte mir vor allem unter Pharisäern Menschen vor, die schwer an der Last des Gesetzes trugen und sauertöpfisch versuchten, unmöglich Erfüllbares zu erfüllen. Und dann sah ich im Oktober 1983 erstmals Menschen fröhlich am Freudenfest des Gesetzes (Simchat Tora) mit den großen Schriftrollen in einem der Jerusalemer Stadtparks tanzen und viele andere Menschen darum herum auch tanzen, voller Freude. Seitdem weiß ich, dass Tora, Weisung, nicht sauertöpfisch macht, sondern fröhlich. Viele Menschen können sich auch nicht vorstellen, dass die rettende Ankunft Gottes fröhlich macht, wenn sie Jahr um Jahr in der stressigsten Zeit des Jahres vier Wochen vor Weihnachten angekündigt wird und dann fröhlich gefeiert werden soll. Aber auch das ist ein Klischee. Denn ich sehe in diesen Tagen eine ganze Menge Menschen, die sich von Herzen darüber freuen, dass in einem schwierigen Jahr voller Pandemie und Krieg nun die Hoffnung auf Frieden und Ruhe in die Häuser strahlt. Allewege Freude.
Allmacht Gottes oder Autonomie des Menschen?
Wie das kein Widerspruch sein muss und was Erlösung mit Bewegung zu tun hat, gibt uns Rabbinerin Dr. Ulrike Offenberg zum Wochenspruch aus Jes 40,3.10 mit:
Ist das nicht ein Widerspruch? Gottes Erscheinen erfolgt kraftvoll und zu selbstgewähltem Zeitpunkt. Welche Wegbereitung sollen da Menschen leisten?
Die Gegenüberstellung dieser Versteile aus Jes 40, 3 und 10 verweist auf das unauflösbare Spannungsverhältnis religiöser Existenz: Gott ist der/das/die ganz Andere, nicht zu fassen mit menschlichen Begriffen, größer als alle unsere Vorstellungen, Schöpfer der Welten, Ursprung von Leben und Tod. Es sind Bilder von Macht, Majestät und Unerreichbarkeit. Welchen Weg können Menschen da bahnen?
Doch schon mit der Erschaffung des Menschen in Gottes Ebenbild verzichtete Gott auf diese einsame und ferne Stellung. Spätestens seit dem Bund mit Noah ist klar, dass Gott an Interaktion interessiert ist. Nicht durch mächtige Taten will Gott Anerkennung finden, sondern indem sich Menschen in Beziehung zu Gott setzen. Und da ist eine Grenze für Gottes Allmacht: „Alles ist in Gottes Hand, außer der Gottesfurcht“, sagen die Rabbiner im Babylonischen Talmud (BT Berachot 33b). Es liegt in der Autonomie der Menschen, von sich aus anzufangen, Wege für Gott in ihrem eigenen Leben und in der Welt zu bahnen. In dieser Bewegung aufeinander zu wird Erlösung sichtbar.
Florence Häneke, Vikarin der EKBO, sieht im Wochenspruch die Chance zum Blickwechsel, weg von mir selbst Richtung Erlösung!
Hoch blicken, den Kopf aufrichten und sehen: Was um mich herum ist. Wer um mich herum ist.
Weg von der Innenschau. Nicht nur meine eigenen Füße wahrnehmen. Der Advent wirkt oft wie eine Zeit der Einkehr, des Privaten, Zurückgezogenen, im Wochenspruch lese ich: Sieh dich um! Die nahende Erlösung, die geschieht im Miteinander, in der Welt.
Seht auf! Nehmt die Welt offen wahr – und alle die in ihr sind.
Das Haupt erheben: froh und unverzagt.
Die Erlösung naht, die Freude darf sich körperlich bemerkbar machen. Mir meiner selbst bewusst sein, aufrecht gehen – mit allen Zweifeln und Schuld, sie sind ja ein Teil von uns. Der aufrechte Gang ermöglicht mir weniger um mich zu kreisen: Um die Erlösung wissend. Ich kann den Blick aufrichten, umhersehen, meine Mitmenschen wahrnehmen und hören. Ohne dass es immer wieder um mich gehen muss. Aufrecht einander begegnen. Ohne Furcht. Voller Freude auf alle, die ich sehe um mich herum und wo ich auch hin komme.
Mit dem Propheten Sacharja einmal kurz durchs Schlüsselloch schauen und Überraschendes sehen.
Der Wochenspruch zum 1. Advent, kommentiert von Theresa Dittmann, Pfarrerin im IKJ:
Nur einmal kurz durchs Schlüsselloch schauen und ausspähen, was da Heilvolles auf uns zukommt. Nicht nur Kinder tun das gern. Der Prophet und Gottesmann Sacharja tut es auch, inmitten von Bedrohung und Orientierungslosigkeit. Und sieht etwas Überraschendes, vorher nicht Gekanntes.
So sieht Erlösung aus!?
„Siehe, dein König wird dir kommen; gerecht ist er und geholfen ist ihm.“
Sacharja sieht den künftigen Friedenskönig und seine Erkennungszeichen: Gerecht ist er, und ihm wurde geholfen. Schon in frühester Zeit haben Übersetzungen aus dem Geholfenen den Helfer gemacht. Ein Retter muss doch schließlich helfen!? Sacharja aber wusste: Eben weil sich der wirkliche Erlöser mit den Armen, Besitzlosen und Entrechteten identifiziert, ist er selber auf Hilfe angewiesen. Genau darin liegt seine Macht.
Dein König kommt! Tochter Zion, freue dich!
Gürtel und Licht braucht es zum Aufbruch, sagt Dr. Christina-Maria Bammel, Pröpstin der EKBO, zum Wochenspruch:
Die Lichtmomente werden kürzer, die Tage dunkler. Für Etliche Endzeitstimmung. Sie wollen wachmachen, Anderen ein Licht aufsetzen im Protest: Seht die erwärmte Erde! Andere sorgen sich, dass der Gürtel enger geschnallt werden muss, der Wohlstand schwindet. Welcher Gürtel soll die krassen Widersprüche zusammen halten?
Der Gürtel über der Hüfte hält Hose oder unpraktische Gewänder. Arbeiten und laufen wird leichter. Ging auch den Frauen in endloser Care-Arbeit so: Im Buch der Sprüche wird die Tüchtige gelobt, ihr Licht geht nie aus. Auch ein Widerspruch: Wer immer nur arbeitet und brennt, brennt aus. Kraft und Lebenszeit sind kostbar, endlich. Wer Gürtel trägt und Licht anlässt, ist dressed for action. Nicht irgendeine Aktion:
Gürtel und Lampe brauchte es beim Aufbruch der Israeliten aus dem Land der Sklaverei. Gott gibt das Nötige für diesen Aufbruch. Eiliges Essen zum Losgehen bereit in der Nacht: Pessach. Ein Freiheitsereignis, wenn die Zeit dunkelt. Dann beweglich bleiben, widersprechen, aufstehen. Gestimmt auf Freiheit, weil der Blick weit genug fürs Wesentliche ist. Komm aus der Hüfte!
„Kein Gericht ist auch keine Lösung“ findet Dr. Christian Staffa mit Blick auf den heutigen Wochenspruch:
Es steht außer Frage, dass der Gedanke, der Wunsch, die Zusage, dass es ein Gericht Gottes über die Welt gibt, die endlich Gerechtigkeit herstellt nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für die Vergangenheit, ein tröstender ja revolutionärer ist. Walter Benjamin gibt dieser biblische Gedanke die Hoffnung, dass die Opfer der Geschichte nicht vergessen sind.
„Der Messias kommt ja nicht nur als der Erlöser; er kommt als der Überwinder des Antichrist. Nur dem Geschichtsschreiber (vielleicht hier kühn einzusetzen Theolog*innen) wohnt die Gabe bei, im Vergangenen den Funken der Hoffnung anzufachen, der davon durchdrungen ist: auch die Toten werden vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein. Und dieser Feind hat zu siegen nicht aufgehört.“
Deshalb ist für Martin Buber der Tag des Gerichts ein Festtag, ein Tag der Erneuerung, ein Tag der Umkehr.
Gleichzeitig ist das Gericht eine heikle theologische Figur, weil sie so unglaublich missbrauchsanfällig ist. Das hat wohl dazu geführt, dass in unseren Kirchen von Gericht selten die Rede ist. Dazu aber wäre zu sagen: Kein Gericht ist auch keine Lösung.
Über Frieden, Scheinheiligkeit und Antisemitismus in der Sprache. Helene Begrich, Theologiestudentin, Studentische Hilfskraft am IKJ und Absolventin von Studium in Israel e.V. über den aktuellen Wochenspruch:
Frieden stiften. Das soll erst einmal jemand schaffen. Angenommen jemand würde von außen auf die Welt der Menschen blicken, so würde er diese wohl sicher nicht mit „Frieden“ assoziieren. Ist vielleicht aber auch das Gerede über den „Weltfrieden“, den wir uns alle sehnlichst wünschen, etwas scheinheilig? Apropos scheinheilig: im Duden wird unter anderem der Begriff „pharisäerhaft“ als Synonym für „scheinheilig“ angegeben. Dass der Ursprung dessen der christlichen Tradition entspringt, erscheint im Hinblick auf den jahrhundertelangen Antijudaismus der Kirche nur wenig überraschend. Dass ein solcher Begriff im Duden steht jedoch schon. Vielleicht ist es ein gutes Zeichen, dass ich diesen antijüdischen Begriff nicht kannte, dass in der christlichen Kirche heute der Ruf nach Versöhnung und Begegnung mit Juden und Jüdinnen größer ist als das Beharren auf Feindschaft. Genau darin liegt die Kunst des Friedenstiftens. Obwohl die Kirche dem Judentum jahrhundertelang als Feind begegnete, hat sie heute die Chance zu verstehen, dass Christ:innen nur in Gemeinsamkeit, in Frieden und Verbundenheit mit Juden und Jüdinnen, Gottes Kinder heißen werden.
„Das wäre doch viel zu einfach…“ - gerade mit solchen Einwänden machen wir es uns zu einfach, sagt Rabbiner Max Feldhake zum aktuellen Wochenspruch:
Die jüdische Tradition ist voller Sprüche, die kurz und bündig Weisheiten vermitteln, so wie hier im Buch Micha.
In Pirkei Awot (Sprüche der Väter) zum Beispiel, lesen wir: „Simon der Gerechte gehörte zu dem Reste der großen Versammlung. Er Tat den Ausspruch: Auf drei Dingen steht die Welt: auf der Tora, auf dem Gottesdienst und auf der Liebeserweisung.“ In der Tora lesen wir im Buch Deuteronomium ebenfalls: „Der Gerechtigkeit sollst du folgen… (Deut. 16:20) Was heißt es, Gottes Wort zu halten? Wie dienen wir dem Ewigen denn überhaupt? Ich glaube, unsere jüdische Tradition bietet in diesen kleinen Weisheiten den Schlüssel, und zwar Liebe und Gerechtigkeit zu üben und auszuleben.
Manche würden wohl darauf erwidern, dass diese Sichtweise viel zu vereinfacht sei, sie entspricht leeren herkömmlichen Plattitüden. Wenn das so wäre, dann hätten wir unsere Welt von Hass und Gewalt, von Ausgrenzung und Unterdrückung schon längst befreit. Micha spricht uns aus der Vergangenheit an, heute vielleicht umso intensiver und eindringlicher als je – sei nicht so hochmütig um zu mutmaßen, dass wir Gottes Wort halten, Gerechtigkeit folgen und Liebe üben. Das tun wir offensichtlich nicht oder nicht im ausreichenden Ausmaß.
Der Prophet und somit die jüdische Tradition mahnen uns – hören wir auf sie?
Wie hängen „der Mond ist aufgegangen“, der Wochenspruch und das jüdische Achtzehnbittengebet zusammen?
Dr. Milena Hasselmann vom IKJ Berlin hat über den aktuellen Wochenspruch nachgedacht:
„Und unseren kranken Nachbarn auch“ singen jeden Abend viele Eltern am Bett ihrer Kinder in der Hoffnung, dass mit dem Ende der 7. Strophe des bekannten Abendliedes nun auch das Einschlafritual ein Ende gefunden hat. Die Bitte um Heilung und das Vertrauen, dass Gott heilt, ist nicht nur im Christentum zentraler Teil des Gottesbildes. In der jüdischen Tradition wird drei Mal täglich im Achtzehnbittengebet die 8. Bitte mit eben diesem Vers des Propheten Jeremia eingeleitet, bevor es heißt: bringe vollkommene Heilung allen unseren Wunden, denn Gott, König, altbewährter und barmherziger Arzt bist du. Gelobt seist du, Ewiger, der du die Kranken deines Volkes Israel heilst!
Aus der jüdischen Tradition lässt sich lernen, dass der Ruf nach Heilung, das Vertrauen, dass Gott heilt keine Bitte im Einzelfall ist, die in der individuellen Notsituation stoßgebetsartig ausgerufen wird. Heil und Heilung sind ganzheitliche Geschehen und werden deshalb 3mal täglich erbeten.
Aus der Ferne liebt es sich leicht. Die Nähe ist es, die Geschwisterlichkeit anspruchsvoll macht.
Der Gedanke zum Wochenspruch von Dr. Franziska Grießer-Birnmeyer vom BCJ.Bayern:
„Sei lieb zu deinen Schwestern!“ Dieser Satz ist in meiner Kindheit nur sehr selten gefallen. Ich habe zwei jüngere Schwestern, aber der Altersabstand ist so groß, dass sich unsere Lebenswelten in den ersten Jahren kaum berührten. Es war eine Liebe auf Distanz, eine glückliche Fernbeziehung.
„Sei lieb zu deiner Schwester!“ Bei unseren beiden Töchtern ist das anders. Es trennen sie nur wenige Jahre, sie verbringen viel Zeit miteinander, lieben dieselben Spielsachen. Die Kleine weiß genau, wie sie die Große ärgern kann – und umgekehrt. Sie sind sich nah, manchmal wird die Nähe zu groß, zu überwältigend - dann sind wir als Eltern gefragt.
„Liebe deinen Bruder, liebe deine Schwester!“ Der Wochenspruch richtet sich an mich. Die Aufforderung, meinen Nächsten zu lieben, sie ist mir vertraut. Ich lese, höre sie oft. In der Wiederholung ist das tiefe Wissen um die große Herausforderung eingeschrieben, die damit verbunden ist. Aus der Ferne liebt es sich leicht. Je näher man sich ist, desto anspruchsvoller wird es: Hinsehen, wo das Ich endet und das Wir beginnt. Respektvoll mit den Grenzen meines Bruders, meiner Schwester umgehen. Feiern, was uns verbindet.
Starke Worte – auf den ersten Blick.
Und auf den zweiten Blick mit jüdischer Brille? Auch dann bleiben die Worte stark. Rabbiner Ederberg zeigt, wie erst durch die Tora diese Worte vollständig zum Klingen gebracht werden.
Und er deutet leise mahnend an, dass sie ohne die Tora tönernes Erz wären:
„TikTok und Twitter führen uns heute die Eindringlichkeit von Kurznachrichten vor Augen. Sie sind einprägsam und vereinfachend. „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat“ ist so eine Kurznachricht, die in ihrer Kürze eigentlich unverständlich ist.
Dieser Halbvers ist Teil einer größeren Argumentation, die betont, dass Jesus der ‚Sohn Gottes‘ und dass er ‚im Fleisch gekommen‘ sei. Über 33 Verse wird in 1. Joh 4,1 - 5,12 in fast tautologischer Rede immer wieder argumentiert, dass man an der Liebe, am Geist, am Glauben und am ‚Halten der Gebote‘ erkennen könne, wer wirklich bei Gott ist und wer nicht.
„Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat“ ist aber kein Slogan für Plakate, sondern folgt daraus „dass wir Gott lieben und seine Gebote halten“ (5,2).
Die Schwäche der Argumentation liegt darin, dass hier weder wie im Matthäusevangelium auf die jüdische Schrift rekurriert wird, noch gemäß der später von Marcion verfolgten Linie diese jüdische Schrift verworfen wird.“
In der Lutherübersetzung steht „zur rechten Zeit“. Wörtlich aus dem Hebräischen übersetzt heißt es eher: „Aller Augen warten auf Dich und du gibst ihnen ihre Speise zu seiner Zeit.“
Ihre Nahrung – zu seiner Zeit. Vom Plural zum Singular. Was meint das?
Im Talmud (4. Jh. n. Chr.) wird eine Geschichte erzählt, die das erklärt:
Einst kam jemand zu Raba, einem wichtigen Weisen. Raba fragte ihn, was er gewöhnlich als Mahlzeit zu sich nehmen würde. Der erwiderte: Wertvolles Essen wie eine Masthenne und alten Wein. Da sprach Raba zu ihm: Nimmst du denn gar keine Rücksicht auf die (finanzielle) Belastung der Gemeinde, die damit verbunden ist!?
Jener erwiderte: Esse ich etwa das der Gemeinde, ich esse doch das, was der Allbarmherzige mir gibt!? Es wird nämlich gelehrt: (Ps 145,15): Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Nahrung zu seiner Zeit. Es heißt ja nicht: zu ihrer Zeit, sondern: zu seiner Zeit. Das lehrt, dass [Gott], der Heilige, gepriesen sei er, jedem Einzelnen die Nahrung und das, was zum Leben nötig ist, dann gibt, wenn er es braucht – d.h. seiner Zeit entsprechend.*
Ihrer Zeit entsprechend (Plural) würde bedeuten, alle bekämen zu jeder Zeit das Gleiche. Die Übersetzung der Lutherbibel „zur rechten Zeit“ bringt es inhaltlich also auf den Punkt: Gott gibt seine Gaben und Gnaden jedem/jeder Einzelnen zu der Zeit, wie er/sie es braucht, sprich zu je seiner/ihrer Zeit oder eben: zur rechten Zeit.
*Frei übersetzt nach Talmud, Ketubot 67b, ausgesucht von Eli Reich.
„Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.“ 1. Petrus 5,7
Ein Bibelvers wie eine Kalendersentenz oder eine Fußmattenweisheit. Einfach alles auf Gott abwälzen, dann wird es sich schon regeln, irgendwie. So einfach, so schön. Schön wär’s!
Ich habe vor kurzem – wieder einmal – Martin Bubers „Rede über das Erzieherische“ gelesen, ursprünglich gesprochen im August 1925 auf einer internationalen pädagogischen Konferenz in Heidelberg. Das Tagungsthema lautete: „Die Entfaltung der schöpferischen Kräfte im Kinde“. Während sein Auditorium das Tagungsthema klar als aktive Gestaltungsaufgabe verstand, setzt Buber auf die aktivierende Kraft des Abgebens. Die Schlusssätze der Rede lauten: „Der Mensch, das Geschöpf, welches Geschaffenes gestaltet und umgestaltet, kann nicht schaffen. Aber er kann, jeder kann sich und kann andere dem Schöpferischen öffnen. Er kann den Schöpfer anrufen, dass er sein Ebenbild rette und vollende.“
Lobe/Segne, meine Seele, ה׳, vergiss nicht all seine Wohltaten.
Nach der jüdischen Tradition (Babylonischer Talmud, Berachot 10a) habe David diesen Psalmvers gesungen, als er sich als Säugling an den Brüsten seiner Mutter nährte. Mein erster Impuls ist zu sagen: Aber die Wohltaten, die er in diesem Moment empfing, rührten doch unmittelbar von seiner Mutter her! Müsste der erste Lobpreis nicht ihr gelten, anstatt die mit dem Körper einer Frau verbundene Leistung gleich wieder zu spiritualisieren?
Aber das ist ja gerade die Herausforderung für Menschen, die mit Gott leben: In allem, auch dem Offensichtlichen, immer noch eine andere Ebene der Wirklichkeit zu entdecken. Das verlangt dieser Vers uns ab: Erst einmal Gott zu segnen, d.h. in eine Beziehung zu dieser Wirklichkeit zu treten, die nicht zu begreifen ist. Und dann in unseren Alltag zurückzuspringen und all die kleinen und großen Wohltaten wahrzunehmen, die uns physisch und psychisch am Leben erhalten. Und wie schön eigentlich, dass diese Auslegungstradition hier in den Brüsten einer Frau die Wohltaten Gottes erkennt und dabei auch die Mutter Davids sichtbar werden lässt.
Werke der Barmherzigkeit. So wurde in der christlichen Tradition genannt, was Jesus in seinem Gleichnis vom Weltgericht aufzählt: Kranke versorgen, Einsame und Gefangene besuchen, Fremde aufnehmen. Barmherzig sein. Mich im Herzen bewegen lassen von der Situation der oder des Anderen, sodass ich etwas tue. Was sie brauchen ist Gottes Gebot an mich. Der jüdische Philosoph Emanuel Lévinas nennt es die „Nähe Gottes im Antlitz meines Nächsten.“ Das Gebot, die Weisung Gottes wird in der unmittelbaren ethischen Situation erkannt – und nicht aus einem übergeordneten Prinzip abgeleitet. Das Matthäusevangelium erzählt von Jesus als einem Lehrer der Tora. Der in der Bergpredigt bekräftigt, dass kein Jota der Tora vergehen wird (Mt 5,17). Der sogar soweit geht, dass er sich mit den Weisungen der Tora identifiziert: Was ihr einem von diesen getan habt, das habt ihr mir getan.
Die Metapher des dunkelnden Dochts klingt zunächst klischeehaft, vielleicht sogar bösartig, vor allem wenn man sie auf das jüdische Volk liest – eine flimmernde, zarte Flamme, ein trübes Licht, das oft übersehen wird. Doch blickt man genauer hin, drückt dieses Bild gerade die Beharrlichkeit und die Tapferkeit des Volkes Israel aus: ein Licht, das sich nicht auslöschen lässt allen Widrigkeiten zum Trotz. Und mehr noch:
[Anmerkung des IKJ: Der Vers ist länger als der Wochenspruch und geht weiter: nach Wahrheit verkündet er das Recht.]
Die jesajanische Metapher bezieht sich auch auf die Wahrheit, die Israel und die Menschheit bewahren und kundtun sollen. Fragil, ja verletzlich ist das Licht der Wahrheit, zu oft von allen Seiten bedroht. Das sehen wir in der heutigen Welt nur allzu gut: heftige Kräfte drohen, die Wahrheit auszulöschen. Darum sind wir dazu aufgerufen, in Zusammenarbeit mit dem Ewigen das Erlöschen der Wahrheit zu verhindern und diese durch Gerechtigkeit zu verteidigen.
Wir sind die Guten!
Was heute als locker-selbstbewusster Spruch daherkommt, bekommt beim Blick in die europäische Geschichte hässliche Untertöne: Wir sind die Guten, hieß meist auch: Ihr seid die Bösen.
„Wir“, das waren die Christen, „Ihr“, das waren normalerweise „die Juden“. So wurden Jesus, seine Mutter Maria und seine Jüngerinnen und Jünger einfach der Christenheit zugeschlagen. Denn sie waren ja die Guten.
Die Bösen waren „die anderen“: Judas, „die Pharisäer“, „die Juden“ schlechthin. Und natürlich waren auch immer bloß „die anderen“ hochmütig. Die Demut ist zur Heuchelei verkommen, so als ob sie es nötig hätte, andere klein zu machen. Tatsächlich achtet die Demut den Wert der Vielstimmigkeit, sie rechnet mit dem eigenen Irrtum und damit, dass auch „die anderen“ die Guten sein könnten.
Gerade in der Vielfalt wirkt nämlich Gottes Gnade, nicht nur für die einen oder die anderen, sondern so wie im Alten und im Neuen Testament verheißen: Für Gottes ganze Schöpfung.
Ja, wohl dem Volk.
Das wünschen wir, das wünsche ich dem Volk Israel – an jedem Sonntag und ganz besonders am Israelsonntag.
Dafür gibt es ihn ja, den Israelsonntag am 10. nach Trinitatis. Dass sich die Kirche ihrer ganz besonderen Nähe zum jüdischen Volk bewusst wird.
Dass sie sich vor Augen führt: ihr eigenes Wohl und Wehe hängen aufs engste am Wohl des jüdischen Volkes.
Es ist Gottes erste, Gottes bleibende Liebe. Sein Augapfel.
Dass es oft nicht Wohl, sondern Wehe war, was Christentum und Kirche den jüdischen Geschwistern entgegen gebracht hat – wehe denen, die das vergessen und wehe allen, die auch heute noch Antijüdisches und Antisemitismus verbreiten.
Wehe dem – wir haben allen Anfängen zu wehren.
Um unsret-, um unserer jüdischen Geschwister willen,
um Gottes willen kann nur unser Auftrag sein, was der Wochenspruch sagt:
Wohl dem Volk, dessen Gott der HERR ist, das er zum Erbe erwählt hat.
Für immer erwählt dieses Volk, Gottes Liebe.
Denen vertraue ich meine kleine Tochter an, sagte eine Freundin. Die Erzieherinnen verbringen bald mehr Zeit mit ihr, als ich. Da muss ich schon ein gutes Gefühl haben! Wenn wir unser Liebstes, Kostbarstes jemandem anvertrauen, erwarten wir von diesem Menschen sehr viel. Einer meiner Onkel nahm das ernst – und lehnte tatsächlich ab, Patenonkel zu werden. Das ist eine große Aufgabe, sagte er, und der werde ich nicht gerecht werden. Nicht so, wie ich das von mir selber erwarte. Vielleicht könnte man ihm beruhigend einen anderen Vers sagen, aus der Hebräischen Bibel, aus dem Buch der Sprüche, denn auch unser Vers stammt offenbar aus einer solchen jüdischen Spruchsammlung. Da heißt es hoffnungsvoll: Spr 11,25 Wer reichlich gibt, wird gelabt, und wer reichlich tränkt, der wird auch getränkt werden.
Licht und Finsternis – Gut und Böse. Direkt vor dem heutigen Spruch steht: „Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn.“
Hier ein Aussagesatz, dort eine Aufforderung – ‚Ihr seid‘ vs. ‚Ihr sollt sein‘. Diese Spannung ist jüdisch immer präsent, wenn wir von Gott reden. Wir bitten Gott darum, unser Gebet zu hören und preisen ihn zugleich als denjenigen, der das Gebet hört.
Der Epheserbrief drückt in Bezug auf den Menschen exakt die gleiche Spannung zwischen unserer Willensfreiheit einerseits und unserer Abhängigkeit von den Möglichkeiten der Wahl, die Gott uns gibt aus, wie das jüdische Gebet sie in Bezug auf Gott formuliert.
Wir bitten Gott, seine Versprechen an Israel und die Welt zu erfüllen. Der Epheserbrief bittet die neuen Christen, ihr Potential zu erfüllen.
Dazugehören! Jede:r wünscht es sich: angenommen, geliebt und nicht ausgeschlossen zu sein. Mehr noch: Teil einer Gemeinschaft zu sein. Was für ein wunderbarer Gedanke aus dem Epheserbrief: Als Christ:innen sind wir durch Jesus Christus mit hineingenommen in den Bund Gottes, den Er mit seinem Volk Israel geschlossen hat und der ungekündigt gilt. Denn Gott ist treu. Gott sei Dank. Wir sind zu Bundesgenossen geworden. Ein Geschenk vom „Du“ Gottes – wie dies in all den Bundes-Schlüssen Gottes zum Ausdruck kommt, die Er stiftet und treu bewahrt, angefangen mit Adam über Noah, Abraham, dem Volk Israel bis hin zu Jesus Christus. Wer so einen Raum zum Leben erfährt, kann seinen Herzensraum für andere öffnen. Hätten das die Christ:innen und die Kirche durch die Jahrhunderte einfach nur beherzigt – gerade gegenüber unseren jüdischen Geschwistern.
"Du bist mein" sagt Gott zu Israel. Was das heißt, weiß Exeget Daniel Vorpahl:
Das Verhältnis Gottes zu seinem Volk lässt sich an etlichen Textstellen in Allegorie zu einem Eltern-Kind-Verhältnis erläutern.
So auch hier: Wer einer Sache oder gar Menschen einen Namen gibt, übt einen Akt der Identifizierung und Zuschreibung, aber auch Aneignung aus. Für das Individuum ist das ein durchaus anmaßender Akt, den nur Kinder nicht als solchen empfinden, da sie von Geburt an mit ihrem Namen groß werden. Jakob aber hatte bereits einen Namen, als Gott ihm den Namen Israel hinzugab. Dieser ist kein übergriffiger Spitzname, da sich Gott damit nicht das Individuum Jakob zu eigen macht, sondern ihn als Quelle eines Volkes markiert, das aus ihm hervorgehen wird und dem dieser Name zur Identität werden wird. Es ist weniger die Geburtsstunde, als eher der Zeugungsmoment des Volkes Israel, dessen Gott sich annimmt. Wie Eltern eines Kindes übernimmt Gott damit Verantwortung für etwas, das noch gar nicht recht da ist und geht so eine verpflichtende Zuständigkeit ein.
Aus Gnade gerettet –
immer noch kann man lesen und hören, dass damit ein Spezifikum neutestamentlicher Theologie gegen alttestamentliche oder jüdische Werkgerechtigkeit zur Geltung gebracht sei.
Wer so redet, kennt das Neue Testament schlecht. Paulus führt Abraham als den paradigmatischen Gerechten vor, der aufgrund seines ihm von Gott geschenkten Glaubens gerettet wurde. Ich habe im Studium den Epheserbrief als „deutero-paulinisch“ kennengelernt. Mit diesem Kunstwort sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass nicht der Apostel Paulus selbst, sondern Schülerinnen und Schüler dieses Theologen den Brief verfasst haben. Bibel ist ein vielstimmiges Werk vieler Autorinnen und Autoren, gewiss. Aber manchmal doch überraschend einstimmig: „Aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben“.
In dieser Woche findet die Trauerfeier für Peter von der Osten-Sacken
statt, der am 28. Juni 2022 gestorben ist.
Er war langjähriger Leiter unseres Instituts, Wegbereiter und Vordenker im jüdisch-christlichen Dialog, leidenschaftlicher Bibelkenner, ein prägender Lehrer und zudem ein wunderbarer Mensch.
Als Erinnerung an ihn kommt die Auslegung des Wochenspruchs heute aus seinem Galaterbriefkommentar:
"Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen." (Gal 6,2)
Es ist ein Aufruf zur helfenden Solidarität mit jemandem, der sich verfehlt hat.
Einander die Lasten zu tragen ist ein Gemeinschaftsverhalten.
Mit der Folgerung, dadurch würden die Gemeindeglieder das Gesetz Christi erfüllen, nimmt Paulus auf die Feststellung in 5,14 Bezug: Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort erfüllt (3. Mose 19,18): »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!«.
Die Mahnung zum wechselseitigen Lasten tragen umschreibt dieses Gebot der Nächstenliebe.
Der Rückbezug auf das Liebesgebot der Tora und dessen Bezeichnung als „Gesetz Christi“
geschieht hier so, dass Paulus die Tora in Gestalt des Liebesgebots durch Christus autorisiert sein lässt und zu seinem Gesetz macht. Christus ist damit die Bejahung der Tora nicht nur aufgrund der durch ihn eingelösten Verheißung, wie Paulus es in Kap. 3– 4 gezeigt hat, sondern auch durch die Übernahme des Gebots der Nächstenliebe.
Manchmal sind wir lost. Im Alltag. Im Leben. Im Glauben. So verloren, dass wir nicht mehr wissen, wie wir den Weg zurück finden. Oder den nächsten Schritt. Angebote aus Sinnkrisen gibt es viele. Lk 19,10 wartet mit etwa Ungewöhnlichem auf: dem Menschensohn. Er sucht uns. Vor irgendetwas anderem begibt er sich in unsere Verlorenheit. Und so hilft er uns raus. Macht selig. Menschensohn. Ein Titel, der schon lange vor dem Neuen Testament auftaucht. Sohn des Menschen, Kind des Menschen. Im Hebräischen und Aramäischen heißt das vor allem „Mensch“. Was uns in unserer Verlorenheit findet und dann aus ihr rettet, ist Gottes MENSCHlichkeit.