Meine Sorgen sind groß. Zu groß. Sie erdrücken mich fast. Sind zu schwer zum Werfen. Die Wahlergebnisse der rechtsextremen AfD in Thüringen und Sachsen, der Klimawandel, die Care-Krise, der anhaltende Angriffskrieg auf die Ukraine, der Krieg in Israel und Palästina.
Nicht nur unsere Sorgen sind groß. Die ersten Leser:innen des Petrusbrief lebten in Unsicherheit, Angst und Sorge. Ein paar Verse später steht: Der Feind geht umher wie ein brüllender Löwe. Ich denke an das Interview mit Björn Höcke nach seinem Wahlsieg in Thüringen. Der Teufel, der Menschen verschlingt, lese ich im Petrusbrief.
Der Kontrapunkt im Petrusbrief ist herausfordernd: Gott kümmert sich. Setz dich. Ruh dich aus. Der Kaffee ist gleich fertig. Der Tisch gedeckt. Atme tief durch. Gott kümmert sich um uns. Sie sorgt für uns, so dass wir die Sorgen wieder tragen können, sie uns nicht erdrückt und wir handlungsfähig werden in dieser Welt.
Es gibt doch wirklich genug Gründe, sich Sorgen zu machen: Der Klimawandel, die Wirtschaftsentwicklung, die machtpolitischen Rangeleien auf unserer Erde. Da wirkt der Wochenspruch ein wenig schräg. Die Menschen, die ihn zuerst gelesen haben, hatten aber auch Gründe, sich zu sorgen: Als Zugehörige zu einer neuen Religionsgemeinschaft mussten sie mit allerlei Diskriminierungen im Alltag kämpfen, denn plötzlich waren sie anders. Offenbar haben diese Worte ihnen weitergeholfen, sonst hätten sie den 1. Petrusbrief vornehm entsorgt. Ich möchte ihnen zuhören. Unsere Übersetzungen suggerieren etwas, das es im Original nicht gibt: Menschen sorgen sich, und Gott sorgt für sie. Letzteres ist anders formuliert: „Er kümmert sich / es liegt ihm an euch“. Die einen sorgen sich, der andere kümmert sich. Das zu akzeptieren ist nicht leicht – man müsste abgeben können, eine Last abwerfen, wie es wörtlich heißt, weil man darauf vertraut, dass es einen großen Kümmerer gibt. Und was, wenn der sich nicht kümmert? Der Wochenspruch ist im Original kein eigenständiger Satz. Er ist abhängig vom vorangehenden Vers: „Demütigt euch unter die kräftige Hand Gottes“ – zuerst soll ich meine Sorgen auf ihn werfen, dann aber auch darauf vertrauen, dass er es auch mich zu einem ausgesprochen erfreulichen Ziel führen wird: „damit er euch erhöhe“. Meine Sorgen bin ich deswegen nicht los – aber mich begleitet doch noch eine andere Stimme durch die Woche.
„Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.“ 1. Petrus 5,7
Ein Bibelvers wie eine Kalendersentenz oder eine Fußmattenweisheit. Einfach alles auf Gott abwälzen, dann wird es sich schon regeln, irgendwie. So einfach, so schön. Schön wär’s!
Ich habe vor kurzem – wieder einmal – Martin Bubers „Rede über das Erzieherische“ gelesen, ursprünglich gesprochen im August 1925 auf einer internationalen pädagogischen Konferenz in Heidelberg. Das Tagungsthema lautete: „Die Entfaltung der schöpferischen Kräfte im Kinde“. Während sein Auditorium das Tagungsthema klar als aktive Gestaltungsaufgabe verstand, setzt Buber auf die aktivierende Kraft des Abgebens. Die Schlusssätze der Rede lauten: „Der Mensch, das Geschöpf, welches Geschaffenes gestaltet und umgestaltet, kann nicht schaffen. Aber er kann, jeder kann sich und kann andere dem Schöpferischen öffnen. Er kann den Schöpfer anrufen, dass er sein Ebenbild rette und vollende.“