Das Lukas-Evangelium erzählt vielfach von „Verlorenheit“ und verknüpft diesen Terminus mit gesellschaftlichen Fragen. Verloren sind die, die dem Gemeinwohl schaden. Verloren sind die, die dem Ideal von Gerechtigkeit gegenüber abgestumpft sind.
Lk 19 erzählt die bekannte Geschichte von Zachäus, dem Zöllner. Am Ende dieser Geschichte steht dieser Satz vom Menschensohn. Ein schwieriger Beruf und eine unliebsame Rolle in der eigenen Community: für die römischen Besatzer Geld einzutreiben. Der Autor des Lukasevangeliums setzt sich viel mit der Frage auseinander, wie mit Personen aus der eigenen Gemeinde, die wohlhabend sind, umzugehen ist und wie diese mit ihrem Geld umgehen können, sodass es der Gemeinde dient.
Zachäus berichtet Jesus beim gemeinsamen Mahl, dass er Menschen entschädigt, die er betrügt und die Hälfte seines Besitzes den Armen gibt. Ist Zachäus, dessen Name „gerecht“ bedeutet, also womöglich zu vorschnell von seinen Mitmenschen als „verloren“ angesehen und ausgeschlossen worden? Jesus fungiert hier als Vermittler, als Mediator. Er ermöglicht den Mitmenschen, nochmal neu auf Zachäus zuzugehen und ihn als Teil der Gemeinschaft zu begreifen.
Der Wochenspruch soll durch die Woche begleiten, schöne Idee! Was aber, wenn ich die Worte nicht so ganz begreifen kann? Um weiterzudenken hilft mir ein Blick in den Bibeltext. Denn auch der Wochenspruch kommt ja nicht von irgendwoher, sondern ist Teil eines Textes und damit auch an einen bestimmten Kontext gebunden.
Der Kontext unseres Verses ist die Geschichte der Begegnung Jesu mit dem Zöllner Zachäus. Zachäus - das ist die griechische Version des hebräischen Namens זכי “Sakkai”. Bei dem Namen fällt mir auch Rabbi Jochanan ben Sakkai ein, ein berühmter jüdischer Gelehrter des 1. Jahrhunderts.
Dieser Name lässt mich auch an das hebräische Verb זכר „sachar“ (=erinnern) denken. Hier passt der Ausspruch: der Name ist Programm. Der hebräische Name erinnert an den jüdischen Kontext, in dem das Neue Testament entstanden ist. Und das zeigt uns ganz deutlich: Neues Testament ohne Judentum? Geht gar nicht. Das sollen wir nicht verlieren!
Manchmal sind wir lost. Im Alltag. Im Leben. Im Glauben. So verloren, dass wir nicht mehr wissen, wie wir den Weg zurück finden. Oder den nächsten Schritt. Angebote aus Sinnkrisen gibt es viele. Lk 19,10 wartet mit etwa Ungewöhnlichem auf: dem Menschensohn. Er sucht uns. Vor irgendetwas anderem begibt er sich in unsere Verlorenheit. Und so hilft er uns raus. Macht selig. Menschensohn. Ein Titel, der schon lange vor dem Neuen Testament auftaucht. Sohn des Menschen, Kind des Menschen. Im Hebräischen und Aramäischen heißt das vor allem „Mensch“. Was uns in unserer Verlorenheit findet und dann aus ihr rettet, ist Gottes MENSCHlichkeit.