Der Menschensohn beginnt seine Karriere im Danielbuch (Dan 7,13f).
Dort erscheint er als Bevollmächtigter Gottes („Und ihm wurde Macht gegeben und Ehre und Königsherrschaft, und alle Völker, Nationen und Sprachen dienen ihm.
Seine Macht ist eine ewige Macht, die nie vergeht, und seine Königsherrschaft wird nicht untergehen“). Für Jesus selbst – und für seine Anhängerschaft – war das ein passendes Modell, wie man Jesus in seinem Verhältnis zu Gott verstehen konnte.
„Macht“ und „Königsherrschaft“ könnte man nun so deuten, dass der Menschensohn Anteil an Gottes Ehre hat, und ihm darum zu dienen ist.
Das Neue Testament – als jüdisches Buch – kehrt diese Logik um: Wer oben ist, dient – so dient Gott seiner Schöpfung, sonst hätte sie keinen Bestand. Der Jesus der Evangelien folgt dieser Linie: Lebenshingabe anstatt Machthabe.
Antike Menschen hätten verstehen können, dass Jesus mit seinem Tod einen Preis bezahlt, der andere (der Text spricht von vielen) aus ihrer Schuldskalverei freikauft.
Das ist ein Modell, dem Tod Jesu einen Sinn zu geben. Ich erinnere immer gerne daran, dass der Tod Jesu für seine Anhängerschaft ein Rätsel war, für das man eine Lösung finden musste.
Jesu Tod löst nicht das Problem eines zornigen Gottes, sondern Gott löst das Problem eines sonst völlig unsinnigen Todes – und gibt uns damit ein Beispiel, einfach mal von den anderen und ihrem Wohlergehen her zu denken.
Die Herrschaftsverhältnisse dieser Welt sind nicht endgültig. Jesus stellt ihnen eine Ordnung entgegen, in der Herrschen und Dienen vertauscht werden. Das ist die große Provokation und das noch immer nicht eingelöste Versprechen der biblischen Texte. Wenn wir das in diesen Zeiten lesen, können wir daraus Hoffnung und Zuversicht schöpfen. Mutige Menschen, die sich nicht abfinden damit, dass die Mächtigen die Völker unterdrücken, stehen mir vor Augen. Die ihr Leben einsetzen, damit das Böse nicht den Sieg davonträgt. Das Bild vom „Lösegeld“ nimmt einen Begriff aus den biblischen Schriften Israels auf. Gott hat Israel aus Ägypten „erlöst“; mit Lösegeld konnte man sich von einer Schuld, sogar von der Todesstrafe, freikaufen. Auch für den Freikauf von Sklaven wurde der Begriff verwendet. Jesus, der Menschensohn gibt sogar sein eigenes Leben, um die Menschen aus all dem freizukaufen, worin sie versklavt sind. Sein Einsatz für andere kennt buchstäblich keine Grenzen. Der Glaube an den Gott Israels, den die biblischen Schriften bezeugen, wird damit radikal ernst genommen. Und dieser Glaube vertraut darauf, dass das Leben stärker ist als der Tod.