Seit drei Wochen schon hüllt mich das Lila der Passionszeit ein. „Mitten wir im Leben sind / mit dem Tod umfangen“, so habe ich gesungen. An Lätare höre ich nun helle Worte, die bereits nach Ostersonntag klingen. Ich entscheide mich, das konditionale Satzgefüge als Versprechen zu deuten: „In die Erde leg ich / Was auferstehen soll“. Gott wählt für sich den Weg eines Weizenkorns, von der Erde unter die Erde in den Himmel.
Leben und Tod, Tod und Leben – sie sind dialektisch aufeinander bezogen. Sie begrenzen sich nicht gegenseitig, sondern das eine geht aus dem anderen hervor. Und so ist es meine Hoffnung und meine Sehnsucht in diesen Tagen, verwandelt zu werden, ans Licht und ins Freie zu vielfältigem Leben durchzubrechen.
An Lätare hält Gott mir einen rosafarbenen Mantel hin, ich schlüpfe hinein. Dabei singt sie leise: „Mitten du im Tode bist / mit dem Leb´n umfangen“.
„Mitten wir im Leben sind“ von Martin Luther (1524)
„Sog in die Wolken“ von Marie Luise Kaschnitz (1972)
An dem biblischen Vers über das Weizenkorn kann man wunderbar sehen, dass die Evangelien ebenso wie viele Texte der hebräischen Bibel aus eher ländlichen Kontexten stammen. Ich bin in einer großen Stadt aufgewachsen und habe bis heute Mühe, alle Getreidesorten präzise zu unterscheiden. Nie werde ich vergessen, als ich bewusst das erste Weizenkorn in die Hände nahm: Ein solches Korn, das nicht in die Erde eingesät wird oder zufällig da hinein fällt, kann ganz leicht zertreten werden und ist zu nichts mehr nutze. Erst, wenn aus kleinem Korn meterhoch der Weizen wächst „mit Gewalt“ und sich darüber „jung und alt“ freuen (Paul Gerhardt), wird deutlich, worin die eigentliche Bestimmung des Korns liegt: Absterben, damit Weizen wird, schon in biblischen Zeiten ein Zeichen für den Reichtum des Landes Israel. Aus Tod wird neues Leben. Auch das wollen wir kaum glauben – dabei können wir es bei nahezu jedem Spaziergang sehen, nicht nur auf dem Land, sondern auch in der Stadt. Auch da steht irgendwo Weizen, Frucht aus vielen Körnern.