Der gute Hirte könnte eigentlich DAS christliche Symbolbild sein. Und war es anfangs auch. Bevor sich das Kreuz als christliches Zeichen durchsetzte, war es – das wissen wir aus alten Malereien – der schaftragende Hirte, als der Jesus dargestellt wurde. Der gute Hirte könnte auch deshalb DAS christliche Symbolbild sein, weil in ihm der ganze Klangraum, in dem die Jesusgeschichte lebt und wirksam wird, deutlich wird. Wenn Joh vom guten Hirten spricht, dann legt er den Hörenden einen Brühwürfel hin, der erst mit dem Wasser des Alten Testaments seinen ganzen Geschmack entfaltet. Psalm 23 ist dabei nur eine der Zutaten, andere Psalmen verstärken diesen Geschmack, Worte aus den Propheten geben ihre Note dazu, die Geschichten von David und Bilder aus der Tora, die Gott als Hirten und Fels Israels loben, zeigen: Der gute Hirte, der uns im Neuen Testament aufgetischt wird, vereint viele Hirten-Eigenschaften auf sich, ist nicht eindimensional zu fassen. Eins aber zieht sich durch: Der gute Hirte ist der treue. Treu zu seiner Herde, dem Volk Israel, und darum auch treu zu uns.
Jesus spricht mal wieder in Bildern, das hat er oft gemacht: ich bin das Brot, ich bin der Weinstock oder eben ich bin der gute Hirte! Diese berühmten „Ich-Bin-Worte“ Jesu erinnern immer an Gottes Selbstvorstellung beim brennenden und doch nicht verbrennenden Dornbusch in der Wüste: „Ich bin, der ich bin!“, hört Mose da aus Gottes Mund!
Ich bin der gute Hirte! Oder auch der schöne Hirte! So kann man es nämlich auch übersetzten. Es geht hier also sowohl um einen ethischen als auch ästhetischen Maßstab. Damit steht Jesus nicht allein: auch Saul und David waren Hirten, gute und schöne. Auch Saul und David hüteten ihre Schafe.
Die ganze Rede vom guten Hirten lässt sich überhaupt nur verstehen, wenn wir das Alte Testament kennen. Auch der Prophet Jeremia spricht von einem Hirten, der kommen wird und die zerstreute Herde wieder sammeln will. In dieser Tradition spricht Jesus: Ich bin der gute Hirte!